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Zur Theorie und Praxis der Berufung.

Lassen Sie mich ein paar Takte sagen zur Theorie und zur Praxis von Berufung. Heißt es nicht in der Lesung: „Wir heißen alle Kinder Gottes, und wir sind es.“ (1.Joh. 3,1) Eine starke Aussage. Ich für meinen Teil bin immer etwas skeptisch, wenn über das Thema Berufung gesprochen wird. Warum? Weil man oft hört: Berufen…

Lassen Sie mich ein paar Takte sagen zur Theorie und zur Praxis von Berufung. Heißt es nicht in der Lesung: „Wir heißen alle Kinder Gottes, und wir sind es.“ (1.Joh. 3,1) Eine starke Aussage.

Ich für meinen Teil bin immer etwas skeptisch, wenn über das Thema Berufung gesprochen wird. Warum? Weil man oft hört: Berufen seien wir alle; wir alle sollten unsere je eigene Berufung leben. Gott rufe uns alle. Ohne Unterschiede.

Das ist nicht falsch. Das ist die Theorie. Man hört sich diese Theorie an. Wie aber sieht die Praxis aus? Gehen wir doch einmal zum nächsten Pfarrfest und schauen etwas aus der Ferne den Menschen zu, wie sie mit den Priestern oder gar dem Bischof sprechen. Hofieren, ist da die oft die treffende Vokabel. Oder wenn da eine junge Frau im Ordenshabit auftaucht, wie dann die Reaktionen ausfallen. Oder gucken Sie sich an, was für ein Hype daraus gemacht wird, wenn ein junger Mann aus Ihren Reihen mitteilt, dass er Priester werden will. Und erst recht, wenn eine junge Frau sagen sollte, sie möchte Priesterin werden!

Die Theorie lautet: Wir sind alle berufen, ohne Unterschiede. Die Praxis: Anscheinend gibt es Berufene und Berufene, sozusagen normal Berufene und besonders Berufene. Die Praxis kennt also durchaus Unterschiede. Unterschiede, die oft wir selbst leben und perpetuieren durch unsere Erwartungen.

Trotz dieser gelebten Praxis gilt, dass die Theorie nicht falsch ist: Wir sind alle berufen. Zu was berufen? Wir sind alle berufen, in Wort und Tat das Evangeliums zu verkünden. Wir sind alle berufen, Gutes zu tun und Böses zu unterlassen. Wir sind alle dazu berufen, das Leben zu genießen und es auf solche Weise zu genießen, dass andere Menschen und die ganze Schöpfung in den gleichen Genuss kommen. WIR ALLE SIND BERUFENE. Sind wir uns dessen bewusst? Hat die Theorie eine Auswirkung auf unseren Alltag, auf unsere Praxis?

Wir als Menschen in der Kirche brauchen immer auch „besonders“ Berufene. Und gerade die katholische Kirche lebt davon, dass es Menschen gibt – und ich spreche nun bewusst allgemein von Menschen und nicht nur von Männern – die so eine „besondere“ Berufung leben, z.B. eine priesterliche Berufung. Wer soll denn unsere Beichte hören? Wer feiert denn mit uns die Eucharistie? Oder mit Blick auf die Ordensgemeinschaften: Bei wem können wir denn in die großen Traditionen des Betens und Arbeitens eintauchen, wenn nicht in einem Kloster oder einem Konvent? Es braucht, wie es der bekannte Soziologe Max Weber einmal formulierte, „Virtuosen“, Menschen, die uns irgendwie spirituelle Vorbilder, sozusagen Vorbeter sind. Menschen, von denen wir sagen: So könnte es gehen. So kann man Berufung leben.

Da bin ich dann aber schnell in der Versuchung zu sagen: Lass mal die Verkündigung des Evangeliums, das Gutes tun und Böses unterlassen, das Genießen und Genießen, lass uns mal das alles an die diese besonderen Virtuosen weg delegieren. Lass uns die Virtuosen anhimmeln. Oder lass uns sie fortwährend kritisieren, sozusagen die Kehrseite des Hofierens. Das wäre aber zu einfach. Berufung leben, das ist nämlich unser aller Job. Aus der Theorie soll Praxis werden. In dem Alltag jedes glaubenden Menschen. Unter anderem deshalb bin ich Laiendominikaner.  

Wir sind also in der Tat alle berufen. Und irgendwie – und das ist die große Herausforderung – muss diese Berufung im Alltag praktisch werden. Und da nehme ich in unserer Kirche eine Dynamik wahr, die mich beunruhigt.

Es gibt hierzulande immer weniger Menschen, die einen Weg der „besonders kirchlichen“ Berufung gehen: priesterliche, diakonale, Ordensberufung. Da bleiben dann Aufgaben liegen. Die Folge ist, dass wir Laien gefragt werden, die Lücke zu füllen. Das würde niemand so sagen, de facto geht die Dynamik aber dort hin.

Ich engagiere mich auch in meiner Kirchengemeinde. Persönlich sehe ich den Platz meiner Berufung aber nicht in der Institution Kirche. Ich sehe den Platz meiner Berufung an dem Zebrastreifen, an dem ich jeden Freitagfrüh als Verkehrslotse Grundschulkinder und deren Eltern über eine vielbefahrene Straße helfe. Ich sehe den Platz meiner Berufung dort, wo ich meine Stadt davon überzeuge, an dieser und jener Stelle einen Baum zu pflanzen. Ich sehe den Platz meiner Berufung dort, wo ich meinem Nachbarn zuhöre, wie er mir von seiner verstorbenen Mutter erzählt. Ich sehe den Platz meiner Berufung auf einer Demonstration für Demokratie und Menschenrechte. Dort – wie wir es so hilflos sagen – dort „in der Welt“, suche und finde ich auch immer mal wieder den Ort meiner Berufung.

Irgendwo werden wir alle gebraucht. Irgendwo ist der Ort unserer Berufung. Vielleicht haben Sie Ihren Ort ja schon gefunden. Diesen Ort finden kann auch heißen, dass wir unserer Kirche ab und an einen Korb geben. Denn alle Welt braucht uns. Die ganze Schöpfung braucht uns.

„Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es.“ Gott ruft uns alle hinaus in eine große Weite.  Und in dieser Weite sind viele Orte, an denen wir unsere Berufung suchen können. Und finden können.

(Ansprache im Rahmen eines Gottesdienstes, Sonntag, den 21. April 2024)

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