Erinnerungen an Christian Polke (1980-2023)

A) Meine erste Begegnung mit Christian Polke fand im Rahmen der Systematischen Sozietät am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg statt. Diese war (und sicherlich ist sie das auch weiterhin) ein Kreis engagierter Theologinnen und Theologen in verschiedenen Phasen ihrer akademischen Ausbildung. Großzügig hatte man mich – einen Politikwissenschaftler – während der Zeit meiner Promotion…

A) Meine erste Begegnung mit Christian Polke fand im Rahmen der Systematischen Sozietät am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg statt. Diese war (und sicherlich ist sie das auch weiterhin) ein Kreis engagierter Theologinnen und Theologen in verschiedenen Phasen ihrer akademischen Ausbildung. Großzügig hatte man mich – einen Politikwissenschaftler – während der Zeit meiner Promotion dort aufgenommen. Wir lasen Hegel, Heidegger und andere Texte und besprachen die eine oder andere Qualifikationsschrift.

Die Sitzungen verliefen meist nach einem eingespielten Muster: Nach dem Einführungsstatement eines Studenten oder einer Promovendin spielten sich die habilitierten und professuralen Mitglieder der Sozietät die Diskussionsbälle zu. Man konnte viel lernen; ich wagte mich aber selten mit einer eigenen Meinung aus der Reserve. Zudem: Wir saßen in einem Quadrat: Die eine Seite war besetzt mit den Professoren, u-förmig schlossen sich alle weiteren Mitglieder an.

Und dann kam Christian Polke dazu. Christian setzte sich sogleich mitten auf die „Professorenbank“ und eroberte sich auch sofort einen Redeanteil, der dem der Professoren in nichts nachstand. Er brachte Feuer, Leidenschaft und bewundernswerte theologische und philosophische Belesenheit mit. Nicht dass die Sitzungen dieses Kreises zuvor langatmig gewesen wären. Nicht dass ich nicht schon zuvor viel mitgenommen hätte. Ganz im Gegenteil. Doch mit Christian herrschte meinem Empfinden nach ein anderer Beat. Christian saß zu dieser Zeit an seiner Habilitation, und mir ging bald der Gedanke durch den Kopf: Wenn hier nicht ein zukünftiger Professor der Theologie sitzt! Und er ist es geworden.

B) Im Frühjahr 2012 unterrichteten wir beide an der Universität Hamburg gemeinsam ein Blockseminar „Zum Problem des Theologisch-Politischen“. Er hatte mich dazu eingeladen, war ich auch schon seit einigen Jahren nicht mehr an der Universität tätig. Die Zusammenarbeit mit ihm war im besten Sinne unkompliziert: In Kürze hatten wir gemeinsam einen Seminarplan erstellt und über die Lektüreliste entschieden.

Als Theologe hatte Christian großes Interesse an den Forschungsgebieten, die man allgemein als öffentliche Theologie, politische Theologie, politische Religion oder dergleichen benennt. Er verkörperte einen Typus von Theologen, der sich mit großem Engagement auch in die Fragestellungen anderer Disziplinen einarbeitet. Er war an vielen Fragen interessiert und auskunftsfähig. In gewissem Sinne war er ein öffentlicher Theologe, vielleicht sogar ein öffentlicher Intellektueller, ein public intellectual; auf jeden Fall wäre er es geworden, wenn ihm das Leben mehr Jahre geschenkt hätte.

So war die Zeit der gemeinsamen Lehre für mich ein Genuss. Wann immer einem von uns die Worte fehlten, sprang der andere ein. Gemeinsam mit den Studierenden bildeten wir für einige Tage eine Lehr- und Lerngemeinschaft. Nach dem Abschluss des Seminars schrieb er mir: „Es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Und den intellektuellen Disput sollten wir auch unbedingt durch regelmäßige Mittagslunche in St Georg oder Rothenbaum (Stadtteile in Hamburg, BC) fortsetzen.“

C) Und so haben wir es dann gemacht. In den Folgejahren trafen wir uns – meist in den Semesterferien – zu einem Mittagessen, um gemeinsam zu disputieren, uns auf dem Laufenden zu halten, gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen. Christian redete viel und schnell, war aber auch ein außerordentlich guter Zuhörer. Er hatte Interesse an seinem jeweiligen Gegenüber. Er interessierte sich natürlich für die intellektuellen Neigungen, aber auch für den Arbeitsalltag, die privaten Sorgen, die Freuden des Lebens.

Christian war schon immer viel unterwegs, exzellent vernetzt und damit auch gut beschäftigt. Die Arbeitslast erhöhte sich, wie ich aus der Ferne wahrnahm, mit der Pandemie enorm, in deren Verlauf er zudem noch Studiendekan seiner Fakultät wurde, schon zu normalen Zeiten eine arbeitsintensive Aufgabe. Seine „Leidenschaft“ – so würde es wohl Max Weber sagen (vgl. Wissenschaft als Beruf, Berlin 1992, 12) und seine „schlichte intellektuelle Rechtschaffenheit“ (ebd., 36) waren ihm aber nicht zu nehmen.

Als im Sommer 2012 der Hamburger Politikwissenschaftler Michael Th. Greven unmittelbar nach seiner Emeritierung plötzlich starb, schickte ich Christian meinen hier veröffentlichten Nachruf. Seine Antwort lese ich heute mit einem inneren Beben: „Das ist ja furchtbar. Sag mal, was ist denn da passiert? Man mag es ja kaum glauben?“

Auch ich mag es kaum glauben, dass Christian Polke tot ist. Und da bin ich einer unter vielen Menschen, welche ihn sehr vermissen werden: Christian, den öffentlichen Theologen, den Lehrer, den guten Zuhörer und Freund. RIP.

Den Nachruf der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen finden Sie hier: https://www.uni-goettingen.de/de/nachruf+auf+professor+dr.+christian+polke/65035.html

Antworten auf „Erinnerungen an Christian Polke (1980-2023)”.

  1. Marius

    Danke, sehr schön geschrieben. Auch ich habe sehr gute Erinnerungen an Christian, als Theologe, als Mensch.

  2. Martin

    Danke, Burkhard.

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