Glaube als Genuss.

Über das Ziel des Menschen, wie es Thomas von Aquin formuliert, Gott zu genießen, habe ich schon einmal im letzten Jahr geschrieben.

Wir sind als gläubige Menschen, so Thomas, nicht nur dazu ausersehen, nach unserem irdischen Leben Gott zu genießen. Schon das Leben hier und jetzt soll ein Genuss sein dürfen. Der Genuss nicht als Verzehr endlicher Güter, sondern der Genuss als Teilhabe an einer unerschöpflichen Liebe.

Ich zitiere aus Thomas‘ Werk Summa contra gentiles (III, 153):

In jedem Liebenden wird das Verlangen verursacht, mit seinem Geliebten so weit wie möglich vereinigt zu werden: und daher ist es am erfreulichsten, mit seinen Freunden zusammenzuleben. Wenn der Mensch also durch die Gnade zum Liebhaber Gottes (homo Deo dilector) gemacht wird, wird in ihm notwendig das Verlangen nach Vereinigung mit Gott verursacht, soweit es möglich ist.

Der Glaube aber, der von der Gnade verursacht wird, verkündet, daß die Vereinigung des Menschen mit Gott im Sinne eines vollkommenden Genießens, in dem die Seligkeit besteht, möglich ist. Das Verlangen im Menschen nach diesem Genießen folgt also aus der Liebe zu Gott.

Aber das Verlangen nach einem Ding beschwert die Seele des Verlangenden, wenn nicht auch die Hoffnung besteht, es zu erlangen. Es war demnach angemessen, daß in den Menschen, in denen die Gottesliebe und der Glaube durch die Gnade verursacht werden, auch die Hoffnung verursacht wird, die künftige Seligkeit zu erreichen.

Glaube, Hoffnung, Liebe sind in diesen Zeilen eng miteinander verwoben. Sie werden von der Gnade, mit welcher Gott sich der Schöpfung zuwendet, verursacht. Sie führen hin zu einem Genuß, der in der Ewigkeit seine Vollendung findet. Seinen Anfang nimmt dieser Genuss aber im Hier und Jetzt, und zwar in dem Verlangen nach der Nähe Gottes und in der Tatsache, dass wir Liebhaberinnen und Lieberhaber Gottes sind.

Das könnte also eine Definition für das schwierige Wort „Glaube“ sein: Glaube heißt auf Hoffnung Gott genießen.

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Thomas von Aquin und das Letztziel, oder: „Gott genießen!“

Gott genießen? Gott genießen!

Im alltäglichen Sprachgebrauch bringen wir die beiden Nomen „Gott“ und „Genuss“ kaum zusammen. Eher noch anders herum: Die Sprache von Gott und unsere Gottesbilder gehen oft einher mit Forderungen der Einschränkung, der Schuld, der Unterwerfung unter vermeintlich gottgesetze Regeln, mit fehlbaren Institutionen und deren Amtspersonen. Das Wort „Gott“ öffnet nicht weite Räume von Denkens und Lebens. Vielmehr setzt es Grenzen und verbreitet Unlust.

Es geht aber auch anders. Mystikerinnen und Mystiker sprechen schon immer von ganz anderen als regelbehafteten Gottesvorstellungen. Bilder der Versenkung, der Vergöttlichung, der Einheit prägen dann das Sprechen über Gott. Diese Bilder sind immer auch interpretationsbedürftig; sie sind stets aber Ausdruck einer Erfahrung von Gott, die das menschlich Begrenzte und Begrenzende überschreitet. Hin zu einer Erfahrung des „Mehr“.

Der Dominikaner Thomas von Aquin (ca. 1225-1274) wird allgemein nicht zu den mystischen, sondern zu den scholastischen Denkern gezählt. Dabei ist die Differenz zwischen Mystik und Scholastik ein Unterschied, den Nachgeborene in die Welt gesetzt haben, um mal die eine und mal die andere Seite zu desavourieren. Wer Eckhart und Tauler liest, staunt (auch) über deren Systematik. Und wer Thomas liest, freut sich (auch) an dessen spiritueller Tiefe.

Es stimmt, dass Thomas in einem Werk wie der „summa contra gentiles/Summe gegen die Heiden“ sehr systematisch und Schritt für Schritt vorgeht. Auf dem Weg der Argumentation stolpert man bei Thomas aber immer wieder über Aussagen, die von einer tiefen Glaubenserfahrung zeugen.

So zum Beispiel über die Aussage, dass wir Geschöpfe dazu bestimmt sind, Gott zu genießen. So schreibt Thomas im dritten Buch dieser summa, dass „im Genießen Gottes unsere Seligkeit besteht“ (in eius fruitione nostra beatitudo consistit, III,118). Und etwas weiter in der Schrift – in den Kapiteln zu Themen der Eschatologie – spricht Thomas von der „Glorie der göttlichen Schau“ (gloriam divinae visionis, IV, 86) und formuliert dann weiter:

„Mit ihrem Letztziel vereint, wird die Seele, welche die göttliche Schau genießt, in allem ihr Verlangen gestillt finden.“ (anima etiam quae divina visione fruetur, ultimus fini coniuncta, in omnibus experietur suum desiderium adimpletum, ebd.)

In der Seeligkeit erfahren wir nicht nur Gott, wir stehen nicht nur in Gottes Gegenwart und schauen Gott. Nein, Thomas spricht dezidiert vom „Gott genießen“ und nutzt dabei die lateinische Verbform „frui/genießen“, die auch für ganz weltliche Genusserfahrungen verwendet werden kann. Das Ziel ist also ein Genuss Gottes bzw. eine Erfahrung des Genuss in Gottes Gegenwart.

Freilich spricht Thomas hier von einem Ziel, das seiner vollen Entfaltung noch harrt. Er spricht von der Seeligkeit, der Ewigkeit, dem Leben nach dem Tod. Dort erwartet uns der volle Gottesgenuss. Doch wie alle Lebensziele, so die Überzeugung vieler Dominikanerinnen und Dominikaner, strahlt auch der uns versprochene Genuss Gottes schon jetzt auf das leibliche und seelische Leben im Hier und Jetzt aus. Der Genuss Gottes ist da und kann erfahren werden.

Vor allem auch: Die Rede vom Gottesgenuss kann uns dazu verhelfen, anders von Gott und dem Glauben an Gott zu sprechen. Trotz aller Widrigkeit des Lebens in einer fehlbaren Welt gilt nach Thomas: Es macht Lust, bei Gott zu sein. Gott zu erfahren heißt zu genießen. Gott schenkt sich uns im Genuss.

Über den Begriff der Teilhabe. Eine Notiz zu Thomas von Aquin.

Der Begriff der Teilhabe bzw. Partizipation gehört inzwischen zum Alltag eines emanzipatorischen Sprachgebrauchs. Der Begriff der Teilhabe wird oft genutzt, um eine politische Forderung nach „mehr“ auszudrücken: mehr Teilhabe für Menschen mit Migrationshintergrund am Bildungswesen; mehr Teilhabe für Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben; mehr Partizipation der Jugend an den Entscheidungen der Volljährigen; … . Teilhabe & Partizipation drücken also die Hoffnung auf ein Mehr an Beteiligung aus.

Doch woher kommt der Begriff der Teilhabe bzw. der Partizipation? Diese Frage werde ich hier nicht beantworten. Ich möchte aber darauf verweisen, dass die beiden Begriffe eine lange Tradition haben. Die Begriffsgeschichte reicht (mindestens) 800 Jahre zurück. So stieß ich bei der Lektüre der „Summa contra gentiles“ des Thomas von Aquin (erschienen um 1260) auf den Begriff der Teilhabe bzw. participatio (lat.).

Teilhabe bedeutet bei Thomas die mögliche Partizipation der geschaffenen Dinge an dem Wesen des Schöpfers. So wie der Schöpfer – Gott – gut ist, so können auch die geschaffenen Dinge teilhaben an diesem Gutsein. Thomas: „Denn jedes geschaffene Gute ist (gut) aus Teilhabe an der göttlichen Gutheit.“ (cum quodlibet bonum creatum sit ex participatione diviniae bonitatis; 3, 21). Teilhaben an Gott können wir, so Thomas, u.a. durch die „unmittelbare Schau Gottes“ (visio immediata Dei; 3, 51). Von dieser Schau schreibt er: „Gemäß dieser (unmittelbaren) Schau aber werden wir Gott im höchsten Maße verähnlicht (assimilamur) und haben an seiner Seligkeit teil (eius beatitudinis participes sumus; ebd.)“.

Teilhabe beginnt also dort, wo der Mensch an Gottes Wesen, Wahrheit, Seligkeit, … partizipiert. Gleichzeitig bedeutet diese Teilhabe nie, dass der teilhabende Mensch dieses Wesen, Wahrheit, Seligkeit, … in Gänze in sich aufnimmt. Teilhabe bleibt Teil-Habe. Teilhabe ist nie das Ganze. Das Ganze ist immer mehr als die vielen teilhabenden Teile. Auch das unterstreicht Thomas: „Offensichtlich sind alle Teile auf die Vollkommenheit des Ganzen hingeordnet; denn das Ganze ist nicht um der Teile willen, sondern die Teile sind um des Ganzen willen da.“ (… non enim est totum propter partes, sed partes propter totum sunt; 3, 112).

Der Begriff der Teilhabe hat – folgt man Thomas – also immer eine doppelte Dimension: Erstens die ‚emanzipatorische‘ Dimension einer Teilhabe des Einzelnen am Ganzen (im Falle Thomas: Gott). Gleichzeitig existiert auch die ‚demütige“ Dimension einer Teilhabe als ’nur‘ Teil-Habe, als die Einsicht des Einzelnen an der Begrenztheit der eigenen Partizipationsmöglichkeiten. Denn der Mensch, jeder Mensch bleibt auch trotz der Möglichkeit der Teilhabe ein Wesen mit Begrenzungen und Einschränkungen. Teilhabe gleicht daher einem Horizont: Sie ist Begrenzung und Entgrenzung des Einzelnen zugleich.

Dass die Teilhabe bei Thomas mit einem hintergründigen Ordnungsdenken und einer ausgesprägten Hierarchievorstellung einhergeht, werde ich in einem Folgebeitrag anreißen.

Summa contra gentiles zitiert nach der Gesamtausgabe in einem Band, Lateinisch und deutsch, Darmstadt: WBG, 3. Auflage 2009)

Vgl. zum Thema auch die Publikation von Andrew Davison Participation in God: A Study in Christian Doctrine and Metaphysics. Cambridge: Cambridge University Press, 2019.

Über die Vielfalt in der Welt

Es gibt auf der Welt viele Dinge, viele Menschen, viele Lebewesen, viele Erscheinungen, viele Erfahrungen, viele Ereignisse. Von allem ist genug Vielfalt vorhanden. Es grenzt fast an Banalität, diese Tatsache ins Gedächtnis zu rufen.

Diese Vielfalt ist nicht nur eine Vielfalt in quantitativem Sinne. Sie ist auch eine Vielfalt in qualitativer Hinsicht. Die vielen Dinge, Menschen, Lebewesen, … sind nämlich auch voneinander verschieden. Der eine Stein unterscheidet sich von einem anderen Stein; ein Mulch ist etwas anderes wie eine Giraffe; der eine Mensch hat Schuhgröße 37, bei dem anderen sind es 41. Es gibt Laub- und Nadelbäume. Es gibt als Vieles und dieses Viele ist auch noch Verschieden. Noch so eine Banalität.

Ebenso banal ist die Feststellung, dass diese vielen Verschiedenen untereinander in vielerlei Beziehungsverhältnissen stehen. All die Dinge, Menschen, Lebewesen, … stehen nicht einfach nebeneinander herum in der Welt, sondern sind Teil eines komplexen Gewebes von Relationen. Das eine Tier jagt das andere Tier; der Mensch erntet den Weizen; meine Traurigkeit weckt in einer anderen Person das Mitleid; der Sturm an der Nordsee verändert die Küstenlinie; der Baum, der im Wald fällt, reißt eine Lücke und gibt anderen Pflanzen Licht; usw.

Würde jemand widersprechen, wenn ich behaupte, diese Vielfalt ist nicht nur faktisch vorhanden, sondern sie ist auch notwendigerweise vorhanden? Mit notwendig meine ich jetzt nicht sogleich eine Notwendigkeit im Sinne einer höheren Vorsehung. Das könnte ein zweiter Schritt der Reflexion sein. Vielmehr meine ich Notwendigkeit so: Die Vielfalt ist vorhanden, weil ohne die Vielfalt, nichts vorhanden wäre. Vielfalt ist notwendig für das Dasein der Dinge, Menschen, Lebewesen, … . Leben und Existenz, wie wir es kennen, gibt es nur dort, wo Vielfalt ist.

Thomas von Aquin kommt in seiner „Summe gegen die Heiden“ genau auf einen solchen Gedanken. Die „Unterschiedenheit der Dinge“ (distinctio rerum) ist, so Thomas, kein Zufall (Summa contra gentiles, II, 39). Die Vielfalt ist notwendig. In Thomas Logik ist es so: Alle Schöpfung versucht seinem Schöpfer – Gott – nachzuahmen. Da die einzelnen endlichen Schöpfungen dem unendlichen Schöpfer in keiner Weise aus sich heraus ähnlich sein können, benötigt es eine quantitative und qualitative Vielfalt der einzelnen endlichen Schöpfungen. Die fast unendliche Vielfalt der in sich endlichen Schöpfungen ahmt die Fülle des unendlichen Schöpfers nach. Thomas schreibt: „Unterschiedenheit in den geschaffenen Dingen gibt es also deshalb, damit sie auf vollkommenere Weise Ähnlichkeit mit Gott erlangen: durch mehreres und nicht nur durch ein einziges.“ (ebd., II, 45). Vielfalt ist also ein Ausdruck von Gottähnlichkeit.

Nur in der Vielfalt, also, übersteigt das Einzelnen die eigenen Grenzen und bewegt sich gemeinsam mit Vielen auf eine Ähnlichkeit Gottes zu. Überrascht es da, dass Hannah Arendt ihre hohe Sicht der Politik als der Möglichkeit der handelnden Neuschöpfung mit der Pluralität der menschlichen Gesellschaft begründet? Zu Beginn ihres Fragments „Was ist Politik?“ schreibt Arendt: „Politik beruht auf der Tatsache der Pluralität der Menschen.“ Und: „Politik handelt von dem Zusammen- und Miteinander-Sein der Verschiedenen.“ (in: Hannah Arendt 2007: Was ist Politik? Fragmente aus dem Nachlass, 3. Auflage, München: Piper: 9). Nur dort, wo Menschen verschiedene Interessen und Neigungen, Ziele und Wege kennen, ist es notwendig, auf dem Weg der kollektiven Entscheidung, diese verschiedenen Interessen und Neigungen, Ziele und Wege aufeinander abzustimmen. Politik zu treiben setzt Vielfalt des Verschiedenen voraus.

Das eine ist also das faktische Argument: Es gibt die Verschiedenheit der Dinge in der Welt und ohne diese Verschiedenheit gäbe es diese Welt nicht. Verschiedenheit ist also faktisch notwendig. Das andere ist das normative Argument: Diese Verschiedenheit der Dinge ist richtig und wichtig und Grundlage eines so wichtigen menschlichen Handlungsmusters wie des politischen Handelns. Denn aus dem kreativen Umgang mit der Verschiedenheit der Dinge, aus dem Handeln wächst Neues hervor (vgl. Hannah Arendt 2006: Vita activa oder Vom tätigen Leben, 4. Auflage, München: Piper, 226f.). Und das Neue ist der Anfang noch größerer Vielfalt und damit, aus Thomas Warte betrachtet, noch größerer Gottähnlichkeit.

Über den Begriff der Allmacht Gottes

Vor vielen Jahren konfrontierte mich ein Freund mit folgender Aussage:

Gott ist nicht allmächtig. In der Tat: Gott kann nicht allmächtig sein! Warum nicht? Weil Gott keinen Stein schaffen kann, den er dann anschließend nicht aufheben kann.

Natürlich ist die Aussage weit hergeholt. Das sind aber viele logische Rätsel. Um ein solches handelt es sich hier nämlich. Denn die Aussage „Gott ist allmächtig“ schließt für viele Menschen logisch die Annahme mit ein, dass Gott alles kann. Wenn Gott aber keinen Stein schaffen kann, den er nicht selbst aufheben kann, dann kann er etwas nicht tun: diesen bestimmten Stein schaffen. Und wenn er einen Stein schaffen kann, den er anschließend nicht aufheben kann, ja, dann kann er auch etwas nicht tun: diesen bestimmten Stein aufheben. Wie auch immer die Aussage gedreht wird, sie scheint zum Schluss zu führen: Gott kann nicht allmächtig sein.

Man kann die Aussage logisch auseinander nehmen, indem man feststellt, dass zwei Sachverhalte, die sich gegenseitig ausschließen, nicht vernünftig zusammen zu bringen sind: Ich kann auch keine schwarzen Socken weißer Farbe stricken. So ist dann auch Gottes Allmacht begrenzt dadurch, dass sie nichts bewirken kann, was in sich widersprüchlich ist. Gottes Wille richtet sich auch nicht nach Dingen, die an sich unmöglich sind, wie es Thomas von Aquin in der „Summe gegen die Heiden“ formuliert (I, 84).

Doch das zitierte sog. Allmachtsparadoxon kann auch dadurch aufgelöst werden, dass man den Begriff der Allmacht näher definiert. Es ist richtig: Gott wird in der Sprache des Glaubens oft als allmächtig beschrieben. Dies ist dann aber meist die Sprache der Doxologie, des verherrlichenden Jubels. In der Sprache der gläubigen Vernunft jedoch wird die Allmacht Gottes stets qualifiziert. Allmacht Gottes heißt dann nicht: Gott kann alles zu jeder Zeit.  Gottes Allmacht ist vielmehr ausgerichtet auf bestimmte Ziele. Wenn ich, wie Thomas von Aquin es tut, Gott bestimmte Attribute zuschreibe – Gott ist einer, Gott ist unendlich, Gott ist erkennend, Gott ist lebendig, Gott ist glücklich (vgl. ebenfalls Summe gegen die Heiden, 1. Buch)- dann kann Gottes angenommene Allmacht nicht dazu führen, dass ich Gott ein weiteres Attribut zuschreiben, dass den anderen widerspricht. Gottes Allmacht richtet sich vielmehr nach den in den Attributen hinterlegten Zielen. Sie ist bounded.

Logisch mag ich dann behaupten, dass Gott ja gar nicht allmächtig ist, da er sich nicht in fünfzehn Götter gleichzeitig verwandeln kann. Diese Aussage tangiert dann aber nicht einen Allmachtsbegriff, der nicht davon auskennt, dass Gott alles Mögliche und Unmögliche kann oder überhaupt können will. Der Allmachtsbegriff des Glaubens will logisch gar nicht für voll genommen werden. Der Glaube sagt nicht, dass Gott alles kann. Der Glaube sagt, dass Gott alles liebt. Dass Gott alle Dinge erkennt. Dass Gott alles glücklich machen will. Aber um diese Ziele zu erreichen, setzt Gott nicht alle erdenklichen und unlogischen Mittel ein.

Gott zwingt nicht. Gott presst nicht. Gott drückt nicht. Nicht die Menschen. Aber auch nicht die Logik.

Thomas von Aquin und das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung

Ich lese derzeit – wie hier schon einmal vermerkt – Thomas‘ von Aquin „Summe gegen die Heiden“. Ich hetze mich aber nicht in der Lektüre. Daher bin ich erst auf Seite 165.

Derzeit arbeite ich mich durch Thomas‘ Betrachtungen zum Wesen Gottes. Es ist ja bekannt, dass Thomas nicht sonderlich optimistisch war, dass man über Gott viele positive Fakten zusammensammeln könnte. So schreibt er an einer Stelle von den Namen Gottes, dass „sie von Gott nur metaphorisch ausgesagt werden können“ (I, 30). Und einige Zeilen weiter wird er noch deutlicher, wenn er sagt: „Wir können nämlich von Gott nicht erfassen, was er ist, sondern nur, was er nicht ist und wie anderes sich zu ihm verhält“ (ebd.).

Dieser Vorbehalt hält Thomas aber nicht davon ab, über Gott zu sprechen und zwar auf die Weise, dass er, zum Beispiel, die menschliche Bedingtheit mit der göttlichen Unbedingtheit ins Verhältnis setzt usw. So kommt Thomas unter anderem zu folgenden – sehr positiv klingenden – Aussagen über Gott:

Gott ist gut.

Gott ist einer.

Gott ist unendlich.

Gott ist erkennend.

Usw.

Nun möchte ich hier nicht auf die eigentlichen Inhalte dieser Diskussion eingehen, sondern nur eine hermeneutische Beobachtung wiedergeben, die mir bei der Lektüre kam. Nämlich: Thomas nimmt fast keinen Gebrauch von der Bibel. Oder besser: Die Bibel als die schriftliche Quelle der Glaubensoffenbarung spielt in der „Summe gegen die Heiden“ nur eine affirmative Rolle. Die Bibel treibt die Argumentation nicht voran, sondern steht am Ende eines Gedankengangs als Bestätigung des zuvor Gesagten.

Weil Thomas sein Werk mit Blick auf eine nicht-christliche Leserschaft („Heiden“) verfasste, nutzt er die christlichen Offenbarungsquellen auch entsprechend spärlich. Denn die Anerkennung der Offenbarung setzt Glauben voraus; Vernunft ist hier voraussetzungsloser. Demnach nutzt Thomas Begriffe, Kategorien und Argumentationsmuster, von denen er ausgehen kann, dass sie jedem gebildeten Leser zugänglich sind. Thomas setzt also primär auf die vernünftige Begründung und weniger auf die Überzeugungskraft der Offenbarung.

Das wird in der „Summe“ dort besonders deutlich, wo Thomas eine lange Kette von Argumenten aufbaut, die er mit Worten wie „item“, „adhuc“, „amplius“ verbindet, z.B. um deutlich zu machen, dass Gott einer ist und nicht viele. Erst ganz am Schluss der Passage folgt ein kurzer Absatz, der eingeleitet wird mit dem Satz: „Dieses Bekenntnis der göttlichen Einheit aber können wir auch aus den Worten der Heilgen Schrift entnehmen …“ (I, 42), und es folgt die knappe Nennung einiger Bibelstellen. Das heißt: Die Bibel als die Quelle der schriftlichen Offenbarung bestätigt das, was aus der Vernunft heraus sich so oder so ergibt.

Wie Thomas in der „Summe der Theologie“ vorgeht, ein Werk für einen anderen Addressatenkreis, weiß ich derzeit nicht, da hier noch eine gründliche Lektüre aussteht. Bestechend ist aber, wie bewusst Thomas seine Argumentation mit Blick auf eine (vermutete) spezifische Leserschaft aufbaut. Denn einer, dem die Bibel keine Quelle der Offenbarung ist, dem muss ich auch nicht mit der Bibel kommen. In solch einem Fall ziehen (hoffentlich) andere Argumente.

Thomas von Aquin und die Metapher vom „Licht“ – in memoriam P. Lambert Schmitz OP

Ich habe begonnen Thomas (von Aquin) zu lesen: die Summe gegen die Heiden, auf lateinisch summa contra gentiles. Vor mir liegen also ca. 2000 Seiten, lateinisch-deutsch, im Dünndruck, eine Ausgabe besorgt unter anderem von Paulus Engelhardt OP für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Ich erwarte nicht, dass ich in diesem Jahr meine Lektuere beenden werde … .

Eine Metapher, die mir bei Thomas von Aquin schon auf den ersten Seiten oft begegnet, ist das „Licht“. Es ist die Metapher, mit der Thomas den Prozess der Erkenntnis beschreibt. Diese Metapher ist in der Ideengeschichte bei weitem nicht nur bei Thomas zu finden, bei ihm aber durchaus in sehr prominenter Weise. Das Bildwort steht sowohl fuer einen intellektuellen als auch fuer einen spirituellen Weg des fortschreitenden Erkennens hinein in eine immer tiefere Wahrheit und Weisheit.

Thomas nimmt Bezug auf Aristoteles, wenn er zu Beginn der summa schreibt, dass der Mensch „geleitet vom Licht der natürlichen Vernunft“ („ducti naturalis lumine rationis“; I,3) sich eine immer groessere Erkenntnis aneignen kann. Dabei beschraenkt sich diese Erkenntnis im Licht der natuerlichen Vernunft nicht nur auf sinnlich erfassbare, irdische Dinge. Sie umfasst auch spirituelle Dimensionen, also Erfahrungen, die sich nicht sinnlich erfassen lassen. Vernunft und Glauben stehen sich bei Thomas also nicht gegenueber. Im Prozess der zunehmenden Erkenntnis gehen sie ein Buendnis ein, da die Vernunft auch erhellend auf den Umgang mit den Fragen des Glaubens wirken kann.

Die Erkenntnis der irdischen und der geistlichen Dinge gehoert fuer Thomas zum Wesen des Lebens dazu. Dies nicht nur im Sinne einer intellektuellen Aufgabe, sondern auch im Sinne einer – wie wir heute vielleicht sagen wuerden – existentiellen Aufgabe. Thomas formuliert es in der summa contra gentiles wie folgt: „Das Ziel des Menschen ist es also, zur Schau der Wahrheit zu gelangen“ („Finis igitur hominis est pervenire ad contemplationem veritatis.“ II, 83). Alle erschaffenen Dinge haben ein Ziel, einen Sinn, eine Aufgabe, einen Zweck. Das Ziel des Menschen ist es, nach der Wahrheit zu suchen und sie letztlich auch zu finden, ja, zu sehen; nicht so sehr als sinnliche Schau mit den Augen des Koerpers, sondern eher als geistliche Schau mit den inneren Augen von Vernunft und Glauben.

Das Licht der Vernunft ermoeglicht uns Einblicke in die Wahrheit der uns umgebenden natuerlichen und sozialen Umwelt. Sie kann auch Einsichten in Dinge des geistlichen Lebens vorbereiten. Das Licht des Glaubens wiederum gewaehrt dem, der sich diesem Licht in der Kontemplation (Thomas spricht viel von ihr) anvertraut, Einblicke in die geistlichen Wahrheiten von Gott und dessen Wirken in der Welt. Das Licht des Glaubens fuehrt uns auch zu einer immer „wahrere(n) Gotteserkenntnis“ („Dei cognitionem veriorem“ I, 5). Ich erwarte von meiner Thomas-Lektuere noch Antwort auf die Frage, wann genau das Licht des Glaubens das Licht der Vernunft auf diesem fortschreitenden Weg der Erkenntnis hinter sich laesst bzw. ob es ueberhaupt je zu einer Entkopplung von Glaube und Vernunft kommen kann/soll/muss.

Es gibt noch ein drittes Licht. Dieses Licht ist fuer Thomas eine Metapher fuer die Wirklichkeit, die nach dem Tod auf den Menschen wartet. Es ist das Licht der Glorie; das Licht der Gegenwart Gottes. Die im irdischen Leben nur mittelbar erfahrbaren geistlichen Wahrheit, erschliessen sich in der Finalitaet des ewigen Lebens in ihrer ganzen, unmittelbaren Fuelle. Der Mensch ist in diesem eschatologischen Zustand „zur Glorie der göttlichen Schau erhoben“ („in gloriam divinae visionis elevari“ IV, 86). Die Erkenntnis ist voll und ganz vorhanden; intellektuelle und geistliche Einsicht verschmelzen in einer vollkommenen Schau der Wahrheit. Vermittelbar ist diese Schau aber nicht mehr, auch nicht in irdischen Metaphern.

Einige Zeit vor seinem Tod hat mir der Dominikaner P. Lambert Schmitz OP (1929-2009) von dieser dreifach gestuften Erkenntnis und den dazu korrespondierenden Licht-Metaphern erzaehlt. Das Gedicht, das aus diesen Gespraechen heraus entstanden ist, hefte ich hier an. Das soll deutlich machen: Meine Lektuere von Thomas bewegt sich auf einem Pfad, den schon viele Dominikaner (und andere) vor mir gegangen sind. Diese Lektuere hat fuer mich eben erst begonnen. Ich hoffe daher noch auf etwas groessere Klarheit im Umgang mit den thomasischen Begriffen und Metaphern; und der Wirklichkeit, die sie zu vermitteln suchen.

 

lambert op

mit poröser stimme sprach er

von thomas

und dem licht

der erkenntnis der dinge

die unsere vernunft durchwirkt dem licht

des glaubens der sich zu gott hinwirft

und dem licht der glorie

das er nun schaut.

 

© Burkhard Conrad