The political dimension of the Oxford Movement – a short notice

I am currently reading the voluminous „Oxford Handbook of the Oxford Movement“. I hope to publish a review in the „Theologische Revue“ later this year. Article by article – there are 42 in total plus foreword plus afterword  – I am working my way through numerous aspects of the Oxford movement: theology, history, personalities, spirituality, arts … and politics.

I have to admit that for most scholars of the Oxford Movement, its political dimension seem to be of minor importance. When realising that the symbolic beginning of the movement is usually attributed to the very political „Irish Church Temporalities Act“ of 1833 and John Keble’s „Assize Sermon“ this lacuna is rather peculiar.  Simon Skinner, a historian at Oxford University, is right when he points to the fact that there has been a „perhaps inevitable preoccupation of religious and ecclesiastical historians“ with the Oxford Movement’s impact on the Church of England“ (Skinner 2017: Social and Political Commentary, in: Brown, Nockles, Pereiro: Oxford Handbook of the Oxford Movement, Oxford: OUP, 332). The political and social questions connected with the writings and actions of members of the Movement have so far been somewhat neglected. Skinner’s own 2004 contribution „Tractarians and the ‚Condition of England‚“, Stephen Kelly’s „A conservative at heart? The political and social thought of John Henry Newman“ (2012) and my own essay on Robert Isaac Wilberforce (2016) are only the most recent hints that this might be slowly changing.

Simon Skinner’s contribution to the Oxford Handbook looks more carefully at the social and political concerns which members of the movement regulary revealed in their publications. Most Tractarians revealed a political stance which today we might call conservative and „populist“. They were conservative when it came to questions relating to social and political hierarchy and the proper place of ecclesiastical and state authority. Their trust in the „social functions of the parish and romantic-medievalist panaceas such as a renaissance of the squirearchy and Sabbath recreation, national ‚Holy Days‘, and village fairs where squire and labourer might fraternize regardless of social rank“ (Skinner 2017: 339) can equally be regarded as conservative in today’s use of the word.

Populist might be called the strong and vehemently formulated oppostion to industralism, capitalism and worldly gain which we are able to find in Tractarian publications and pamphlets. This kind of populism was rooted less in any particular rational political motive but rather in the theological conviction of a sinful world, fallen and in need of spiritual redemption. „Sympathy with the poor“ (ibid. 344) was a necessary part of redemption but that had to be organized in an ‚old school‘ manner: on the local level and not through national schemes or acts of law (ibid. 341f.).

Underlying this social commentary or criticism was a very specific view of church-state-relations, a certain politico-theological vision. Skinner’s article makes plain that the members of the Oxford Movement were torn between their aspiration „that the Church’s guidance was indispensable to the political nation.“ (ibid. 337). At the same time the constitutional link between the state and the established church came under intense scrutiny. The Tractarians wanted the church to guide the state but they did not want the state to have a say in ecclesiastical matters. They abhorred the so-called Erastianism, i.e. the perceived meddling of the state in questions relating to the church’s teaching and governing. In the same Oxford Handbook, James Pereiro writes: „The Tractarians raised their protest against the conception of the Church as a department of (the) state“ (ibid. 560). Hence followed a strong preference for the apostolic succession as a pillar of ecclesiastical authority and later also for the revival of Convocation as the church’s self-governing body. It followed also an increased opposition to the so-called Royal Supremacy, the overarching authority of the monarch in both state and church matters.

Hence, we should say: Politics did matter for (some) members of the Oxford Movement. This short post can only raise attention to this political dimension of the Oxford Movement. Any interested reader should refer to the Handbook or the texts mentioned above for further reading.

 

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Der Staat, die Anarchie und das Naturrecht

Ich setze meine Bemerkungen über das Naturrecht fort.

In meinem Beitrag „Kirchenasyl und Naturrecht“ erläuterte ich, dass das Naturrecht unter gewissen Umständen durchaus ergänzend zum positiven, staatlich gesetzten Recht hinzutreten kann. Das Naturrecht ist nicht identisch mit dem staatlichen Recht; in einem demokratischen Rechtsstaat ist aber auch anzunehmen, dass viele Elemente des Naturrechts in das Recht des Staates übergegangen sind. So habe ich argumentiert.

Nun werde ich zu der weiteren Erkenntnis gestoßen, dass das Naturrecht von seinem Grundgedanken her gar nicht auf einen Staat und dessen Recht angewiesen ist bzw. dass Naturrecht und der staatsfreie, politische Raum – also: die Anarchie – ganz gut miteinander können. Das gilt auf jeden Fall in der Theorie, denn von einem Praxistext großangelegter willentlicher, politischer Anarchie habe ich bislang noch nicht gehört.

In seiner Besprechung von Gary Chartiers Buch „Anarchy and Legal Order: Law and Politics for a Stateless Society“ weist Jonathan  Crowe von der Universität Queensland auf diesen Zusammenhang hin (siehe: Natural Law Anarchism, in: Studies in Emergent Order Vol. 7, 2014: 288-298). Mit Blick auf Chartiers Buch schreibt Crowe: „Natural law theory is, in fact, highly hospital to anarchism“ (288).

Dies gilt selbstverständlich nur dann, wenn die staatszentrierte und rechtspositivistische Denkart nicht selbst schon als Ausdruck des Naturgesetzes gewertet wird. Dies ist durchaus möglich, wie Crowe mit Blick auf das Werk von John Finnis bemerkt (290). Wenn ich den Staat und sein Recht als eine naturrechtliche Gegebenheit auffasse, da nur der Staat mit seinem Gewaltmonopol für die Durchsetzung des Gesetzes sorgen kann, dann ist freilich die Anarchie mit dem Naturrecht nicht zu vereinbaren.

Crowe entgegnet dieser Denkart: „The main problem with (Finnis‘) argument is that it overlooks the central role of social conventions in solving coordination problems“ (290). Für Jonathan Crowe (& Gary Chartier) ist es also denkbar, dass das Naturrecht sich in gesellschaftlichen Konventionenen und sozialen Normen niederschlägt, die ohne einen Schutz seitens staatlich gesetzter Regeln auskommen. Die Gesellschaft organisiert sich in diesem Modell selbst; sie braucht keinen staatlichen Überbau.

Dabei verweist Crowe zurecht darauf, dass das positive Recht in der Wirklichkeit so oder so ohne eine Rückkopplung an soziale Konventionen nicht auskommt (291). Recht, das ohne dies Rückkopplung auszukommen meint, wird beständig unterlaufen. Weitergedacht: Gesellschaftliche Konventionen sind dann gegenüber dem staatlichen Recht das „Ürsprünglichere“; dort, wo diese Konventionen erfolgreich Bestand haben, kann auf den Staat verzichtet werden. Im Raum steht damit ein Versprechen: „the promise of legal obligation without recourse to state authority“ (294).

In der Besprechung von Jonathan Crowe wird implizit davon ausgegangen, dass staatliches Recht per se illegtim ist. Dieses Recht wird den Bürgerinnen und Bürgern „von oben“ übergestülpt (294). So gedacht ist es wahrlich notwendig eine alternative Ableitung für soziale Konventionen aufzuzeigen. Dabei – so meine Kritik – ist der demokratische Rechtsstaat ja gerade der Versuch, „von oben“ und „von unten“, Staat und Gesellschaft miteinander zu verzahnen. Staatliches Recht und Gesetz wird eben nur das, was das Volk bzw. dessen Repräsenten im Parlament selbst für gut und richtig befinden. Das funktioniert nicht immer, aber dennoch oft genug, um den Gedanken des Staates nicht gänzlich zu verwerfen, sondern positiv, d.h. demokratisch zu wenden.

Noch einmal Jonathan Crowe:

„The tendency of state institutions to crowd out more effective social solutions to coordination problems suggests that the common good may be better pursued without them. All this provides fertile ground for natural law anarchism“ (296).

Auch wer diese Schlussfolgerung nicht teilt, der wird doch anerkennen müssen, dass (theoretisch) auch andere Quellen von Recht und Gesetz, Sitte und Konvention, Norm und Ethos möglich sind als der Staat, z.B. der objektive Bestand eines Naturrechts. Der Verweis auf das Naturrecht kann damit ein starkes Korrektiv sein gegen zügelose Verstaatlichung und Etatismus.

Ist eine Trennung von Religion und Politik möglich?

Schon gelegentlich habe ich mich zu dieser Frage geäußert (vgl. Die Schwelle). An dieser Stelle möchte ich es noch einmal tun, auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen. 

Ganz zu schweigen davon, ob eine Trennung von Religion und Politik wünschenswert ist, ist sie denn möglich?

Ich vernehme oft Stimmen, gerade in der scharf geführten britischen Debatte zwischen den sog. „neuen“ Atheisten und Vertretern der Glaubensgemeinschaften, welche diese Frage kontrovers bearbeiten. Die einen fordern die rigide Trennung zwischen Religion und Politik, da die Religion in einem modernen Staat nichts zu suchen habe und Sache bloß der Privatsphäre sei. Die anderen halten solch eine Trennung nicht für wünschenswert, da damit die gemeinwohlorientierten Ressourcen der Glaubensgemeinschaften aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen würden.

In diese normative Debatte möchte ich mich an dieser Stelle nicht einmischen. Ich halte aber schon aus rein sachlichen Gründen eine Trennung von Religion und Politik für ein Ding der Unmöglichkeit. Warum?

Vielleicht ist es möglich – wenn man es denn normativ für erstrebenswert hält – die institutionellen Sphären von Kirche und Staat voneinander zu trennen. Kirche und Staat verfügen über Schwellen, die man identifizieren kann: ein übertragenes Amt, Orte der Entscheidung und der institutionellen Selbstverständigung, Eide und Rituale. Es gibt ein große Bandbreite an Möglichkeiten, wie das Trennungs- und Verbindungsverhältnis von Kirche und Staat in den heutigen Gesellschaften gelebt werden kann. Der eine Pol wird durch staatskirchliche oder theokratische Modelle repräsentiert und der andere Pol durch streng laizistische Modelle. Bei uns in Deutschland findet keines dieser Modelle Anwendung. Doch darum geht es hier nicht.

Es geht hier vielmehr um die Trennung zwischen Religion und Politik. Wer hiervon spricht, muss eines beachten: Religion und Politik sind Begriffe, die nicht auf unterscheidbare Institutionen verweisen. Religion und Politik haben keine Schwellen, die den einen von dem anderen auf klare Weise abkoppeln. Die beiden gehen fließend ineinander über. Genauer gesagt: Während Kirche und Staat institutionelle Sphären sind, sind Religion und Politik Handlungsbereiche. In ihnen finden sich eine Vielzahl an Motivationen, Begründungsmuster, Sprechakte und Handlungen. Institutionen lassen sich voneinander unterscheiden. Bei Handlungsbereiche ist dies nur analytisch möglich, nicht aber in der Praxis.

Jeder Bürger, der sich als „Gelegenheitspolitiker“ (M. Weber) aus seinem Glauben heraus für illegale Flüchtlinge einsetzt; jede Kommunalpolitikerin, die sich aus ihrem Glauben heraus für eine qualitativ gute Kinderbetreuung in ihrer Stadt engagiert; und jedes Mitglied des deutschen Bundestags, das sich aus seinem Glauben heraus für eine uneigennützige Entwicklungszusammenarbeit stark macht: Diese Menschen sorgen mit ihren Handlungen und Motivationen dafür, dass Religion und Politik miteinander in Berührung kommen. Das macht übrigens auch der, der aus einer säkularen Weltanschauung heraus genau für diese von mir als unmöglich bezeichnete Trennung von Religion und Politik eintritt.

Wenn ich religiös musikalisch bin und ein politisches Amt antrete, so fällt die Trennung von Religion und Politik in sich zusammen. Niemand kann von mir fordern, meine ureigenen Handlungsmotivationen vor den Toren des Parlaments abzugeben (so auch J. Habermas). Ich übertrete dessen Schwelle und begebe mich mit meinen Überzeugungen und Weltanschauungen in die Debatte über die Zukunft unserer Gesellschaft.

Was anderes ist es, wenn ich als kirchliche Amtsperson (z.B. Pfarrer) danach strebe, ein Amt im Staat innezuhaben. Hier besteht zurecht die Forderung, ich möge mich für die Tätigkeit in der einen oder in der anderen Institution entscheiden. Doch hier sind wir wieder bei Kirche und Staat angelangt. Und eben nicht bei Religion und Politik. Von diesen behaupte ich: Sie lassen sich nicht voneinander trennen.

Wie im Himmel …

… so auf Erden.

Es ist üblich, im politisch-theologischen Denken epochenspezifische Figuren der Projektion auszumachen. Vorstellungen vom himmlischen Hofstaat und dessen hierarchischen Struktur werden auf die irdischen Herrschaftsverhältnisse übertragen. Beides wird als unmittelbarer Ausdruck des Willens Gottes interpretiert. Oder: Die irdischen Verhältnisse werden ins Göttliche projeziert, damit die Rückspiegelung wiederum zur Legitimation des Irdischen genutzt werden kann. Letzteres fasst in aller Kürze und in einer politisch-theologischen Zuspitzung das Feuerbachschen Projektionstheorem zusammen.

Ein leidenschaftlicher Leser von Feuerbach war der russische Anarchist und Aktivist Michail Bakunin (1814-1876). In „Gott und der Staat“ (hier zitiert nach der Ausgabe: Gott und der Staat und andere Schriften, hrsg. von Susanne Hillmann, Reinbek: Rowohlt, 1969) kritisiert Bakunin jede Form der organisierten Religion aufs Schärfste. In seiner Kritik greift er ebenfalls auf Figuren der Projektion zurück: Bewusst, indem er Feuerbachs Theorem in seine Argumentation einbaut, um die zeitgenössische Religion vermeintlich bloßzustellen (69).

Er benutzt das Projektionsdenken aber auch unbewußt. Das tut er dann, wenn er seine anarchistische Wut sowohl gegen Gott als auch gegen den Staat richtet. Beide – Gott und der Staat – sind für ihn gleichsam Emanationen der einen Autorität, die dem Menschen seine Freiheit rauben und daher abzulehnen und abzuschaffen sind. „Wenn Gott existiert, ist der Mensch ein Sklave; der Mensch kann und soll aber frei sein: folglich existiert Gott nicht“ (70) sagt er an einer Stelle. An einer anderen: „So ist das Prinzip der Autorität fest aufgestellt, und mit ihm die beiden grundlegenden Institutionen der Knechtschaft: die Kirche und der Staat“ (97).

Der Widerstand Bakunins richtet sich gegen Religion und Politik und deren institutionellen Ausformungen Kirche und Staat gleichermaßen. Seine Projektionen und Analogieschlüsse irrlichtern zwischen beiden hin und her. Interessant ist, wem sich der Anarchist als Sklavenhalter verpflichtet fühlt: den Naturgesetzen. „Ja, wir sind absolut die Sklaven dieser Gesetze“ (74) Und: „Die Freiheit des Menschen besteht einzig darin, daß er den Naturgesetzen gehorcht, weil er sie selbst als solche erkannt hat“ (75).

So flüchtet sich Bakunin aus den von ihm kritisierten Projektionen unter die warme Decke des Naturalismus. Da wird der Anarchist fast schon zum Stoiker.

Die Schwelle zwischen Kirche und Staat

Oft begegnet man der Ansicht, Politik und Religion ließen sich voneinander trennen. Oder die beschreibende Ebene wird in Richtung der normativen Ebene überschritten: Politik und Religion sollten ganz und gar voneinander getrennt werden. Claude Lefort hierzu: „Im Rahmen der Soziologie oder der politischen Wissenschaft handelt es sich hier um einen manifesten Tatbestand (…). Das Politische und das Religiöse werden als zwei getrennte Ordnungen von Praktiken und Relationen gesetzt“ (Claude Lefort 1999: Fortdauer des Theologisch-Politischen? Wien: Passagen-Verlag, S. 43).

Politik und Religion lassen sich aber nicht voneinander trennen. Es zu versuchen, wäre Unsinn. Was sich trennen läßt, sind die institutionalisierten Formen von Politik und Religion, also beispielsweise Staat und Kirche oder Parlament und Synode. Denn nur diese „Orte“ besitzen eine Schwelle, die man gegen den ungewollten Übertritt absichern kann. Diskurs- und Handlungsfelder, wie Politik und Religion sie darstellen, werden aber stets miteinander in Berührung sein und sich gegenseitig überlappen.

Sobald ein Parlamentarier die Schwelle einer Kirche übertritt, um privat zum Gottesdienst zu gehen, vermischen sich Politik und Religion. Dieser Kirchgang kann, wenn es die Umstände erfordern, zum Gegenstand politischer Diskussionen werden. Wenn ein Bundespräsident den Katholiken- oder Kirchentag besucht, vermischen sich Politik und Religion. Sobald ein gläubiger Mensch bei Parlamentswahlen ein Mandat erringt, kommen Politik und Religion einander nahe. Und das gleiche gilt für die konfrontative Begegnung zwischen den beiden Feldern, derzeit zum Beispiel in Laos und Vietam, früher in den Ländern des Warschauer Paktes. Denn eine Religionsgemeinschaft, die unterdrückt wird, wird dies, weil sie seitens des Staates als ein relevanter politischer Akteur angesehen wird.

Kirche und Staat kennen Schwellen, die die eine Institution von der anderen Institution trennen: Gebäude, Ämter, Schriftsätze, Titel. Politik und Religion kennen solche Schwellen nicht. Sie in Gedanken künstlich einzuziehen macht keinen Sinn.

Simone Weil über den heiligen Staat

„Der Staat ist heilig, aber nicht wie ein Götzenbild, sondern wie die Kultgegenstände oder die Steine des Altars, das Taufwasser oder andere ähnliche Dinge. (…) Diese stofflichen Stücke werden als heilig betrachtet, weil sie einem heiligen Gegenstand dienen. Und diese Art von Majestät steht dem Staat zu.“

aus: Weil, Simone 2011: Die Verwurzelung. Vorspiel zu einer Erklärung der Pflichten dem Menschen gegenüber, Zürich: Diaphanes, S. 169.

Anfang der 1940er Jahren geschrieben, offenbart der Satz Ambivalenz. In den faschischisten und kommunistischen Diktaturen ihrer Zeit erkennt Simone Weil eine verkehrte Sakralisierung des Politischen („Götzenbild“). Ihre Antwort hierauf ist aber nicht die konsequente Desakralisierung des Politischen durch die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie. Das ist die pragmatische Antwort der Politikwissenschaft der Nachkriegsjahre.

Weils Antwort lautet: Schaffung eines wahren Vaterlands durch die Einhauchung eines Geistes des demütigen Gehorsams in das Volk dem Staat gegenüber (ebd.). Angesichts der Enttäuschung, welche Simone Weil in einer Zeit von Krieg, Totalitarismus und Exil spürte, überrascht es, dass sie den Gedanken eines transzendenten Auftrages von Staat und Volk nicht aufgab. Waren Krieg und Vernichtung doch nicht erst durch die „politischen Religionen“, wie es Eric Voeglin 1938 formulierte, hervorgerufen worden? Legt es die Verquickung von Transzendenz und staatlicher Politik nicht gerade auf ein totalitäres Ordnungsdenken an?

Offenbar sieht Simone Weil zwischen dem Pragmatismum einer parlamentarischen Demokratie und der Totalität politischer Religionen noch einen „dritten“ Weg, wie die Institutionalisierung von wahrheitssuchender Politik gestaltet werden kann. In ihren Schriften bleibt sie hierzu aber (notwendigerweise?) vage.