Terry Eagleton and the awkward necessity of being radical

I argued a while a ago that for someone with a Christian motivation there will always be the awkward necessity of being a true radical. Radicalisation in that sense is not something that has to be avoided. Indeed, proper radicalisation has to be encouraged in order to prevent the wrong kind of radicalisation we don’t want. „Proper“ in this sense equals kenotic, humble, sacrifical. „Wrong“ equals dominant, exclusive, ego-centric.

In his book „Culture and the Death of God“ (New Haven 2014), Terry Eagleton comes to a similar conclusion. Eagleton’s book is something like a history of intellectual secularisation and the transformation of the concept of God and the divine. He starts with German and English traditions of Idealist thinking at the turn of the 18th to the 19th century. He then turns his attention to Romantic notions of culture as the Divine before arriving at the more atheistic visions of the god-like human being in the thought of Marx and Nietzsche. I must admit that – having in mind Hans Blumenberg’s criticism of the secularisation thesis – I was sometimes sceptical as to whether Eagleton’s rather linear account of divine „loss“ is correct. But that is not my question here.

Rather, I would like to do nothing more than to mention that Terry Eagleton – like myself – sees the need for a firm faith-based intervention into social and political discourse. We have to bear in mind, however, that faith and faith-communities are not mere functions of society. Also their justification lies not in the useful kit they provide for the social fabric. Terry Eagleton writes towards the end of his book:

„If religious faith were to be released from the burden of furnishing social orders with a set of rationales of their existence, it might be free to rediscover its true purpose as a critique of all such politics. In this sense, its superfluity might prove its salvation.“ (207)

Faith’s role in society is not primarily edifying or constructive. But it is also not destructive or corrupting. It is neither of these. Faith’s „usefulness“ lies in the space and time it provides for critique, for transformation and conversion. Christian faith, thus, has in store …

„… the grossly inconvenient news that our forms of life must undergo radical dissolution if they are to be reborn as just and compassionate communities.“ (208)

In Eagleton’s own words the „self-dispossession of Christ“ (159) must be followed by a self-dispossession or decentring of his ollowers today. These followers become Christ-like radicals for the sake of justice and compassion.

These radicals walk the earth as constant critics of fundamentalist and secular arrogance alike. This seems to be the awkward radicalism which is needed after all: in politics, in society, in church.

Werbung

Entkirchlichung und Säkularisierung im 19. Jahrhundert

Beide Worte – Entkirchlichung und Säkularisierung – sind umstritten. Es wird bezweifelt, dass die Begriffe adäquat die Prozesse beschreiben, die westeuropäische Gesellschaften in Sachen Religion und Glaubenspraxis befallen haben. Dennoch möchte ich einige Zahlen nennen, die erkennen lassen, dass Entkirchlichung und Säkularisierung weder kurzfristige Phänomene noch lineare Entwicklungen sind. Beide Begriffe beschreiben Prozesse, die mindestens zwei Jahrhunderte zurückreichen und von einem ständigen Auf und Ab geprägt sind.

Das Zahlenmaterial entnehme ich folgendem Buch: Rudolf Schlögl: Alter Glaube und moderne Welt. Europäisches Christentum im Umbruch 1750-1850, Frankfurt am Main, 2013.

Laut Schlögel praktizierten die Kirchen und Religionsgemeinschaften im 19. Jahrhundert zunehmend eine „statistische Selbstbeobachtungspraxis“ (278), zuerst die protestantischen Kirchen, später auch die katholische. Dieser Praxis verdanken wir erste belastbare Daten über die reale Glaubenspraxis der Menschen im Alltag (vgl. Schlögel 274ff.). Einige Beispiele:

  • Vier von zehn Erwachsenen nahmen 1851 in England (nicht: GB!) am Sonntagsgottesdienst teil. Ab den 1860er Jahren waren es noch einmal deutlich weniger. Im industriestarken Coventry nahmen schon in den 1830er Jahren höchsten 10% am Sonntagsgottesdienst einer Kirche am Sonntagsgottesdienst teil.
  • In Hessen-Nassau lag 1862 die Abendmahlsfrequenz in der evangelischen Kirche bei 83%, in Berlin bei weniger als 20%.
  • In Frankreich lag um 1900 die Zahl derjenigen Katholiken, die ihrer österlichen Beicht- und Kommunionspflicht nachkamen, bei ca. 65%.
  • Die Anzahl der kirchlichen Beerdigungen lagen im protestantischen Deutschland 1862 unter 40%. Vierzig Jahre später waren 90% aller Beerdigungen von Protestanten kirchlicher Natur.

Gerade die letzte Zahl verdeutlicht: Der Trend zur Entkirchlichung ist nicht eindeutig. Abnehmende Zahlen stehen auch nicht unbedingt für abnehmende Religiosität, zunehmende Zahlen auch nicht für gesteigerte Frömmigkeit. Bei Schlögel finden sich zu diesen scheinbar widersprüchlichen sozialen Prozessen einige einleuchtende Deutungen.

Freilich kann man sich nun die Frage stellen, wie es um Kirchlichkeit und Frömmigkeit in einer Zeit stand, aus der kein Zahlenmaterial zu uns gekommen ist. Ob damals – also vor dem 19. Jahrhundert – wirklich eine tief verwurzelte christliche Glaubensüberzeugung und -praxis in allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus vorhanden war, wage ich zu bezweifeln. Diese Zweifel habe ich schon mehrmals an dieser Stelle geäußert.

 

Die „Übersetzung“ – von Hans Maier zu Jürgen Habermas

Die religionspolitischen Debatten der Bundesrepublik wurden in den vergangenen Jahren stark durch die Veröffentlichungen von Jürgen Habermas geprägt. Habermas interessierte sich dabei vor allem für die Rolle der Religion in der Öffentlichkeit. Der entsprechende vielzitierte Aufsatz in der Sammlung „Zwischen Naturalismus und Religion“ (Frankfurt/Main 2005) ist untertitelt mit: „Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftsgebrauch‘ religiöser und säkularer Bürger“ (ebd.  119).

In dem Aufsatz geht es letztlich um den Streit bzgl. der Legitimation religiöser bzw. unbedingter Überzeugungen in politischen Debatten säkularer Demokratien. Habermas geht davon aus, dass es religiösen Menschen nicht zugemutet werden kann, ihre Überzeugungen im öffentlichen Diskurs außen fort zu lassen. Er wendet sich gegen Stimmen (vor allem jene J. Rawls), die meinen, dieser Art Überzeugungen hätten im politischen Leben nichts zu suchen. Da dem Gläubigen eine „artifizielle Aufspaltung des eigenen Bewusstseins“ (132) nicht möglich ist, müsse er sich – konfrontiert mit einer solch maximalen Forderung – aus dem politischen Leben  zurückziehen, so Habermas.

Während eine institutionelle Trennung zwischen Staat und Kirche auch für Habermas selbstverständlich ist (vgl. auch Ist eine Trennung von Religion und Politik möglich?), so wendet er sich gegen eine „unzumutbare mentale und psychologische Bürde“ (135), die man religiösen Bürgern damit auflasten würden, wenn ihnen der argumentative Bezug auf die Quellen ihres Glaubens in der Öffentlichkeit verwehrt bliebe.

Um einen kommunikativen modus vivendi zwischen den religiös musikalischen und den religiös unmusikalischen Bürgern zu finden, macht sich Jürgen Habermas für das „Übersetzungstheorem“ stark . Dieses besagt, dass religiös musikalische Menschen, die sich in den politischen Diskurs hineinbegeben, ihre religiösen Überzeugungen und die sich aus diesen Überzeugungen speisenden Argumente nicht ausklammern müssen. Sie können aber auch nicht davon ausgehen, dass ein Verweis auf das „Reich Gottes“ oder das „Evangelium“ – um zwei beliebige Beispiele zu nennen – innerhalb des politischen Diskurses zählt.

Vielmehr müssen sie ihre Überzeugungen im Zuge der öffentlichen Debatte „übersetzen“. Möchte ein religiöser Bürger in den säkularen Arenen der Politik gehört werden, so wird er einem „institutionellen Übersetzungsvorbehalt“ (136) begegnen. Dieser macht es für ihn notwendig, dass seine religiösen Überzeugungen in rational-säkulare Argumente übersetzt werden, die eine Sprache also durch eine andere Sprache ersetzt wird, freilich ohne substantiellen Verlust an innerer Argumentationskraft. Denn, so Habermas, religiöse Stimmen verweisen auf „wichtige Ressourcen der Sinnstiftung“ (137), die in der öffentlichen Debatte nicht verloren gehen sollen. So kann, um die oben genannten Beispiele wieder aufzugreifen, der Glaube an das „Reich Gottes“ übersetzt werden in eine Kritik an politischen Allmachtsphantasien und der Verweis auf das „Evangelium“ wird transformiert in eine säkular anschlussfähige  „Option für die Armen“.

Bislang verband ich das Übersetzungstheorem stets mit diesen Überlegungen jüngeren Datums von Jürgen Habermas. Nun, nach der Lektüre von Hans Maiers „Revolution und Kirche“ aus dem Jahre 1959, bin ich eines besseren belehrt. In seinen „Studien zur Frühgeschichte der Christlichen Demokratie (1789-1850)“ benutzt Maier die Metapher der Übersetzung nämlich im exakt gleichen Sinne wie Habermas; bzw. Habermas nutzt sie im exakt gleichen Sinne, wie ca. 50 Jahre vor ihm auch Hans Maier.

In einem Exkurs zu seiner Abhandlung unter dem Titel „Zum Problem ‚katholischer‘ und ‚evangelischer‘ Politik“ schreibt Maier in ‚Revolution und Kirche‘: „Weiterhin ist die Konfession bei ihrem politischen Wirken innerhalb des demokratischen Staates darauf angewiesen, ihre Absichten den anderen, nichtkonfessionellen Partnern verständlich zu machen“ (Revolution und Kirche, Freiburg 1959, 186). Und: „Die Notwendigkeit, sich dem politischen Partner, der außerhalb der eigenen Voraussetzungen steht, verständlich zu machen, erfordert das Vorhandensein geeigneter Transformationsmittel, mit deren Hilfe religiöse Entscheidungen rational faßbar gemacht und in politische Strukturen übersetzt werden können“ (ebd.: 187).

Zugegeben: Der Übersetzungsbegriff bezieht sich bei diesem Zitat auf die Übersetzung ‚in Strukturen‘. Die Übersetzung ‚in eine andere, nicht-religiöse Sprache‘ ist aber von Maier ebenfalls gemeint, wenn er davon spricht, der religiöse Akteur müsse sich seinem Gegenüber verständlich machen. Ein halbes Jahrhundert, bevor Jürgen Habermas die post-säkulare Gesellschaft ausgerufen hat, hatte Hans Maier also schon die kommunikativen Voraussetzungen dafür ausformuliert, wie religiöse Argumente in die politischen Debatten unserer Zeit eingefüttert werden können. Der Zwang zur Übersetzung scheint schon viel älter zu sein als bisher angenommen.

 

Ein Nachtrag aus Anlass des Gedenktages des hl. Dominikus am heutigen Tag:

Dominikaner verstehen sich schon immer als ‚Übersetzer‘ im Sinne Hans Maiers bzw. Jürgen Habermas‘: Sie übertragen das Wissen und die Weisheit, das in der christlichen Theologie und Spiritualität geborgen liegt, in jeweils neue Zeiten und neue Umstände. Sie tun dies manchmal sehr erfolgreich, manchmal aber auch weniger überzeugend. Darin sind sie ganz menschlich.

Wer sich der Aufgabe der Übersetzung annimmt, der verlässt sein angestammtes Terrain, die Sprache, in der er sich sicher fühlt und geht dorthin, wo er nicht mehr Herr der Lage ist. Der Übersetzer läuft Gefahr, sich der Kritik und des Missverständnisses auszusetzen. Doch dies nimmt er in Kauf. Denn im Gepäck hat er einen Schatz, der es lohnt, in das ernste Spiel des Dialogs hinein geworfen zu werden.

Die Fortdauer des Heidentums – eine Randnotiz aus Niedersachsen

Schon gelegentlich vertrat ich hier folgende Hypothese:

Das Heidentum –  nicht despiktierlich, sondern beschreibend gemeint – wurde seit dem Frühmittelalter bis in die Neuzeit hinein in weiten Teilen Europas durch das Christentum nicht verdrängt, sondern nur überlagert. Zuletzt am 17. Oktober 2013 schrieb ich, „daß sich auch nach der Christianisierung Europas weite Teile der Bevölkerung zu Glaubensinhalten heidnischen Ursprungs bekannten, und dies für ein sehr lange Zeit. Christliche und heidnische Glaubensinhalte und Ausdrucksformen hatten sich vermischt, so daß zu Beginn der Neuzeit keineswegs von einem durch und durch christlichen Europa gesprochen werden kann.“

Nun finde ich einen weiteren Beleg für diese Hypothese. In seiner „Geschichte Niedersachsens“ in der Reihe „Wissen“ vom C.H. Beck Verlag aus dem Jahr 2009 schreibt der Historiker Carl-Hans Hauptmeyer über die Missionierungsbemühungen auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens im 9. Jahrhundert: „Wichtig für die fränkische Herrschaft war, die sächsischen Führungsgruppen durch das Bekenntnis zu dem einen Gott und die anschließende Taufe für das Christentum zu gewinnen. Das traditionelle germanische Gefolgschaftswesen half sodann, diese Mission weiterzuführen, ohne dass damit eine Verbreitung des Christentums als gelebte Lehre gewährleistet wurde. Ein dichtes Netz von Pfarrkirchen ist in Niedersachsen erst nach 1300 belegbar“ (19).

Die massenweise Taufe von Heiden, die in der Zeit der ersten Missionierung Mitteleuropas die Regel war,  war nicht Zeichen eines inneren Sinneswandels der einzelnen Menschen, sondern die Folgeerscheinung der Taufe von Stammesoberen. Und auch deren Taufe war bei weitem nicht nur eine Überzeugungstat, sondern oftmals auch politisch motiviert. Religiöser Glaube war in jener Zeit – ganz im Gegensatz zu heute – nicht die private Überzeugungstat von Individuen, sondern konstitutiv für ein Gemeinwesen: für dessen Ordnung, Einheit und Fortbestehen. Das wichtige an dem eigenen Bekenntnis zu einer Religion war der damit ausgedrückte Gemeinschaftssinn. Die individuelle Überzeugung war sekundär. Dies sollte bis in die Neuzeit hinein auch so bleiben.

Doch was heißt das, wenn bis weit in das hohe Mittelalter hinein, gewöhnliche Menschen nur selten mit den Verkündigern und „Virtuosen“ (Max Weber) des Glaubens (Mönchen, Nonnen, Weltgeistlichen) in Kontakt waren? Nichts anderes bedeutet ja Hauptmeyers Hinweis, dass ein Netz von Pfarrkirchen erst nach 1300 belegbar sei. Es ist kaum vorstellbar, dass ohne einen solchen ortsnahen Kontakt zu den Missionaren, der christliche Glaube das alltägliche Leben der Menschen und deren innere Überzeugungen wirklich prägen konnte. Folgt man dieser Spur, so führt dies einen letztlich zu der Schlußfolgerung: Die Menschen in Niedersachsen waren bis ins 13. und 14. Jahrhundert (und vielleicht sogar noch länger) nur in formaler Hinsicht Christen, informell blieben sie Heiden bzw. praktizierten ein fast schon postmodernes Gemisch von christlich-heidnischen Frömmigkeitsstilen.

Sollte diese Hypothese zutreffen – und ich bin weiter auf der Suche nach Belegen – dann bekommt der Befund einer schleichenden neuzeitlichen „Entchristlichung“ bzw. Säkularisierung westeuropäischer Gesellschaften Risse. Denn dort, wo das Christentum nie originär verankert war – originär im Sinne einer inneren und alltagsprägenden Überzeugung vieler Menschen – dort läßt sich auch kaum von einer Entchristlichung der Gesellschaft sprechen. Die Menschen entledigten sich nicht des Christentums, sondern der Pflicht, überhaupt eine religiöse Überzeugung und Praxis gleich welchen Ursprungs zu haben.

Die Fortdauer des Heidentums

Auch wenn die Säkularisierungsthese in den letzten Jahren in die Kritik gekommen ist, so hält man – in Bezug auf den Westen – doch an folgender Deutung der Moderne fest: Die einstmal ganz und gar vom Christentum (katholisch bzw. protestantisch) geprägten Gesellschaften haben sich in den vergangenen zweihundert Jahren im großen Stile entchristlicht bzw. entkirchlicht. Hohe Austrittszahlen und sinkende Zahlen zu Gottesdienstbesuchern und Sakramentenempfang in vielen Ländern scheinen dies zu bestätigen.

Diese Deutung ist aber nur aufrecht zu erhalten, wenn man davon ausgeht, daß am idealtypisch vorgestellten historischen Ausgangspunkt der Säkularisierung eine ganz und gar vom Christentum durchdrungene Gesellschaft Bestand hatte. Dagegen kann man aber ins Feld führen: Sakramentenempfang und Kirchgang schützen nicht vor Heidentum. Damals nicht und heute nicht.

Michael Borgolte schildet in seinem Buch „Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr.“ (2006) an verschiedenen Stellen das „Fortleben der alten Kulte“ (109). Er schreibt: „Die Evangelisierung der Heiden hat das mittelalterliche Europa niemals flächendeckend erfaßt, und auch wo die Taufe der Völker vollzogen war, lebte der Polytheismus in kultischen Praktiken fort, die die Kirche verworfen hatte“ (218). Borgolte nennt es die „Herausforderung des Dualismus“ (ebd.), welche das Christentum über Jahrhunderte immer wieder heimgesucht habe.

Borgoltes Untersuchung bezieht sich auf das Früh- und Hochmittelalter. Es soll an dieser Stelle aber die Behauptung gewagt werden, daß auch in Spätmittelalter, Renaissance und Neuzeit heidnische Züge sich in der christlichen Gesellschaft durchgezogen haben.Dies geschah zum Beispiel in Form von fragwürdigen Ausprägungen der Volksfrömmigkeit, in denen heidnischer Polytheismus und christlicher Monotheismus miteinander in Konkurrenz standen.

Wenn das Heidentum – in freilich vielfach veränderten Gestalt – aber bis zum Beginn der Moderne durchgehalten hat, dann hat die Säkularisierung nicht die Gesellschaft entchristlicht, sondern ihr nur die christliche Haut abgezogen. Die Diagnose hieße dann: Das Heidentum hatte es sich über Jahrhunderte in der christlichen Kultur gemütlich gemacht. Ohne die bestimmende Macht dieser Kultur trat im Zuge der Modernisierung das Heidentum in der Form aller möglichen Kulte, Sekten und Mythen wieder offensichtlich zutage. Gleichzeitig hat sich das Christentum in der Moderne von Aspekten getrennt, die es numerisch vielleicht groß haben aussehen lassen, die es innerlich aber ausgezehrt haben.

Soweit meine Behauptung, die den langen Weg von der Hypothese zur These noch vor sich hat.

Carl Schmitts Politische Theologie – ein Beitrag zur Begriffsgeschichte?

„Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.“ So beginnt das dritte Kapitel von Carl Schmitts Schrift „Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität“ (7. Auflage, Berlin 1996, S. 43).

Der Satz und die daraus sich entwickelnde Argumentation bei Schmitt werden oft als ein Beitrag zur Geschichte von Ideen und Begriffen verstanden. Schmitt legt hierzu selbst einige Fährten, denen die Interpreten willig folgten und folgen. So schrieb Friedrich Gogarten 1933 eifrig von Schmitt ab, als er seinen Vortrag bzw. Aufsatz „Säkularisierte Theologie in der Staatslehre“ (in: Ders. 1988: Gehören und Verantworten. Ausgewählte Aufsätze, Tübingen, S. 126-141) verfasste.

Als ein begriffsgeschichtlicher Beitrag macht Schmitts sogenannte „Soziologie juristischer Begriffe“ aber wenig Sinn. Schmitt liefert einige Analogien und mehr oder minder wechselseitige Entsprechungen auf den Gebieten von Staatslehre und Theologie. Das reicht aber in keinster Weise aus, um eine diachron orientierte Begriffsgeschichte zu schreiben.

Zu welchem Schluß kommt der, der Schmitts falschen Fährten nicht folgt?

Das erwähnte Kapitel aus „Politische Theologie“ darf nicht diachron, sondern muß synchron gelesen werden. Das heißt: Staatstheoretische und theologische Begriffe stehen nicht in einem geschichtlichen Verhältnis zueinander, wie es eine oberflächliche Lektüre des Kapitels vielleicht nahelegt, sondern in einem synchron sich bedingenden Verhältnis. Die geistlichen Ordnungsvorstellungen einer Zeit entsprechen den gleichzeitig herrschenden politischen Ordnungsvorstellungen. Monarchisches Gottesbild bedingt ein monarchisches Staatsverständnis; die Anerkennung vielfältiger möglicher Gottesbilder entspricht einer pluralen politischen Ordnung. Die beiden Vorstellungen entstehen jeweils aus den Herausforderungen der Zeit heraus. J.H. Newman nennt dies in seinem „Essay on the Development of Christian Doctrine“ an verschiedenen Stellen eine Ideengeschichte „according to the need„. Die Ideengeschichte treibt diejenigen Vorstellungen hervor, die notwendig sind, um in der Realgeschichte als Individuum und Kollektiv bestehen zu können.

So gelesen machen die Ausführungen Schmitts durchaus Sinn. So gelesen hätte sich aber auch die Diskussion um die Bedeutung Carl Schmitts für die Begriffsgeschichte erledigt: Es gibt sie nicht.