Wer macht Demokratie? Klingt erst einmal seltsam, die Frage. Doch sie ist ernst gemeint. Mehr dazu weiter unten.
Die Demokratie ist in der Politikwissenschaft ein zentraler Forschungsgegenstand. Das gilt gerade für eine bundesdeutsche Politikwissenschaft, die sich über lange Zeit hinweg auch als Demokratiewissenschaft verstanden hat. Demokratie ist auch ein zentraler Gegenstand und die Erziehung in eine demokratische Haltung hinein Grundanliegen der politischen Bildung, welche in einer so verstandenen Politikwissenschaft ihre Wurzeln hat.
In diesem Sinne ist das Buch von Samuel Salzborn „Demokratie. Theorien – Formen – Entwicklungen“ (Baden-Baden: Nomos, 2. Auflage 2021, 22,- €) eine klassische politikwissenschaftliche Einführung in die Wissenschaft von der Demokratie mit dem Ziel eine neue Generation von Politikstudentinnen und -studenten den Gegenstand ihres Studiums näher zu bringen: rational und emotional, analytisch und normativ.
Salzborn stellt im ersten, ideengeschichtlichen Teil seines Buches (15-73) das politische Denken über die Demokratie von der Antike bis zur Gegenwart vor: Die griechischen Denker kommen vor; ein kurzer Schlenk über das Mittelalter und die frühe Neuzeit führt in das 19. und frühe 20. Jahrhundert; dort werden nicht nur die Denker der Demokratie aufgeführt, sondern auch ihre konservativen bzw. reaktionären Gegner; weiter geht es mit den demokratietheoretischen Beiträgen nach 1945 bis hin ins 21. Jahrhundert. Bei solch einem ideengeschichtlichen Überblick kann man als Autor wenig falsch machen. Salzborn macht auch wenig falsch und stellt dem einführenden Charakter des Buchs entsprechend solides Schulwissen vor. Freilich wünscht man sich als Leserin oder Leser einer solchen Einführung eine etwas zugänglichere, jargon-freiere Sprache.
Weiter geht es im Buch mit einem längeren Abschnitt (75-102), den man in der Politikwissenschaft klassischerweise der Disziplin der Regierungslehre zuordnen würde. Wir erfahren etwas über Typen der Demokratie und über die wesentlichen politischen Akteure, das „Wer“ in der Demokratie (vgl. unten). Salzborn schreibt hier von der repräsentativen Demokratie und stellt ihr nicht – wie es evtl. nahe liegen würde – die direkte Demokratie gegenüber. Salzborns Gegenüber der repräsentativen ist vielmehr eine sog. „identitäre“, vorgeblich volksunmittelbare Demokratie (88ff.). Hier hätte sich der Rezensent mehr Schulwissen und weniger – tagespolitisch verständliche – Meinungsbildung gewünscht.
Hier kommt bei dem engagiert schreibenden Salzborn zu tragen, dass die Politikwissenschaft (und nicht nur diese) die Demokratie zunehmend einer populistischen Delegitimierung ausgesetzt sieht. Eine Einführung in das Thema muss diesen Aspekt natürlich zur Sprache bringen; im vorliegenden Band nimmt die Angst um die Demokratie nach Geschmack des Rezensenten fast einen zu breiten Raum ein. Sie wird im letzten Teil des Buchs (103-153) sehr deutlich, in welchem Salzborn mit normativem Anspruch mögliche demokratische Entwicklungsszenarien entwirft. Diese Entwicklungslinien zeugen von der Furcht, die Demokratie könnte vor den sich stellenden Herausforderungen in die Knie gehen: Extremismus bedrängt die hiesige Demokratie vor allem von rechts; das post-faktische Internetzeitalter untergräbt den rationalen Grund der Demokratie; kulturelle „Essentialisierung“ (141) von Politik verwandelt die stets vorhandene Konfliktlinien der Gesellschaft in scharfe Diskursfronten. Als Leser stellt man fest: Salzborn sieht die Demokratie ohne Zweifel unter heftigem Beschuss.
Zurück zur Ausgangsfrage: Wer macht eigentlich Demokratie? Wir erfahren bei Salzborn – wie auch in vielen anderen Einführungen zum Thema – viel zu den einzelnen Vordenkern dieses nie vollendeten Projekts der Demokratie. Wir erfahren aber so gut wie nichts über die einzelnen demokratischen Praktiker, welche dieses Projekt mit Leben erfüllen. Die Politikerin. Der Bürger. Solche Kategorien tauchen in dem Buch nicht auf. Wenn eine Einzelperson auftaucht, dann ist das irrtierenderweise der Diktator als der Feind der Demokratie. (Ein Nebensatz: Verblüffend oft für eine Einführung in die Demokratie taucht auch Carl Schmitt und dessen demokratietheoretisch kaum verwendbares, da existentiell aufgeladenes Freund-Feind-Schema auf.)
Die Demokratie lebt aber nicht nur von Kollektivakteuren wie Parteien und Verbänden. Demokratie lebt von vielen einzelnen Menschen, die sich im Alltagsgeschäft als Bürgerin und Politiker praktisch für das demokratische Leben des Gemeinwesens ins Getümmel werfen. Von diesen demokratischen Überzeugungstäter hätte man in dem Buch gerne etwas mehr gelesen. Für diese kann man sich auch in der Politikwissenschaft mehr Aufmerksamkeit wünschen. Vielleicht würde dann auch die nicht unberechtigte Furcht um die Demokratie durch ein Fünkchen der Hoffnung in die Gestaltungskraft demokratisch gesinnter Frauen und Männer abgefedert.