Was hat die Demokratie mit der Tugend bzw. Haltung der Demut zu tun?
Die Antwort des australischen politischen Denkers John Keane auf diese Frage lautet: viel, sehr viel!
In seinem Buch „Power and Humility. The Future of Monitory Democracy“ (Cambridge: CUP, 2018) geht Keane dem Zusammenhang von Demokratie und Demut in 15 zum Teil längeren Kapiteln nach. Einige dieser Kapitel haben einen regionalen Schwerpunkt – Taiwan, Antarktis – andere Kapitel beschäftigen sich mit eher systematischen Fragestellungen – Umwelt & Demokratie, Kinderrechte – wieder andere haben eher einen ideengeschichtlichen Charakter – die Entwicklung einer europäischen Zivilgesellschaft. Keane verfolgt also eine vielseitigen Ansatz, und auch sein Schreibstil ist eher essayistisch, was die Lektüre des 490 Seiten langen Bandes sehr angenehm macht.
Bei aller Pluralität der Anlage, vereint die verschiedenen Kapitel das Anliegen, das Nachdenken über die Demokratie mit dem Rückgriff auf die Demutsidee neu zu beleben. Dabei vertritt Keane mit der „monitory democracy“ einen spezifischen Demokratiebegriff. Der australische Denker diagnostiziert – dies ist Eingeweihten nicht Neues – eine gewisse innere Auszehrung der etablierten Demokratien. Diese Auszehrung scheint aber auch einher zu gehen mit einer Erlahmung im Nachdenken über die Demokratie; Keane erkennt hier eine „great normative silence“ gerade in dem Moment, da ein neues normatives politisches Nachdenken über die Zukunft der Demokratie dringend nötig wäre (440).
Dabei gibt es, so Keane, durchaus Grund zur Hoffnung. Denn jenseits unseres eingeübten Denkens und der akademischen Beobachtung lassen sich spannende demokratische Phänomene und Experimente finden: Nichtregierungsorganisationen, die den Regierungen auf die Finger schauen; Bürgerforen, die sich vor Ort in politische Entscheidungsprozesse einbringen; Ombudspersonen, die bei missbräuchlichem Verhalten von Politik und Verwaltung einschreiten können; Beauftragte für unterschiedliche Fragestellungen, die gegenüber den Verantwortlichen immer wieder den Finger in die Wunde legen und z.T. mit Sanktionsmechanism arbeiten usw. Gemeinsam mit den etablierten politischen Institutionen machen diese vielfältigen, auf unterschiedlichen Ebenen tätigen „monitors“ das komplex verwobene Netzwerk der „monitory democracy“ aus. All diese Institutionen und Mechanismen dienen letztlich der Kontrolle und Einhegung von Macht. Keane formuliert es so:
“ [Monitory democracy is] the most power-sensitive form of self-government in the history of democracy, as the best weapon so far invented for guarding against the ‚illusions of certainty‘ and breaking up camouflaged monopolies of power, where they operate. (…) The norm of monitory democracy is aware of its own and others‘ limit, knows that is does not know everything, and understands that democracy has no meta-historical guarantees. (…) It warns against hubris, it takes a stand against the humiliation of people. (…) With the help of a plethora of power-humbling mechanisms, it supposes that amore equal world of greater openness and diversity is possible.“ (Power and Humility, 57).
Die Demokratie funktioniert also dann gut, wenn jenseits des konventionellen politischen Parteien- und Repräsentantenwettkampfes noch eine Vielzahl weiterer Akteure ins Spiel kommen, sog. „power-scrutinising mechanisms“ (105). Diese Mechanismen bzw. Institutionen tragen ihren Teil dazu bei, dass eine Machtkonzentration in den Händen Weniger verhindert werden kann. Keane spricht in diesem Zusammenhang von „the institutional humbling of power by means of checks and balances“ (204).
Die Demut in dieser Form von Demokratie ist also zweidimensional:
Zum einen versteht sich dieses Nachdenken über Demokratie an sich als demütig. Zum Ende seines Buches wendet sich Keane ausdrücklich gegen eine Rückbindung des demokratischen Denkens an „erste Prinzipien“ bzw. metaphysische Ordnungsvorstellungen. Solche eine Überhöhung des demokratischen Denkens tut der Demokratie nicht gut, so Keane, nicht zuletzt deshalb, da mittlerweile eine Reihe unterschiedlicher erster Prinzipien im Umlauf sind, die sich gegenseitig in Frage stellen und die Indifferenz gegenüber der Demokratie nur steigern (444ff.). Keane plädiert sozusagen für eine ideologische Demut des demokratischen Denkens.
Zum zweiten ist die „monitory democracy“, wie oben erwähnt, in ihrer realen Gestalt von demütigen Strukturen geprägt. Dazu gehören die klassischen Einsichten, dass Wahlperioden begrenzt sein müssen; dass Amtspersonen auch abgewählt werden können; dass es unterschiedliche Konstellationen von Mehrheit und Minderheit gibt; dass Gewaltenteilung zwischen den exekutiven, legislativen und judikativen Kräften herrscht; dass öffentlich über Missbräuche und Fehlentscheidungen berichtet werden darf; dass Verwaltungshandeln angefragt und kritisiert werden kann; … . All diese Mechanismen – die sich von der kommunalen bis zur globalen Ebene finden – tragen ihren Teil dazu bei „to humble the high and mighty“ (15). Institutionen und Strukturen fördern politische Demut.
Wer Keane aufmerksam liest, der merkt, dass der Autor aber noch weiter geht. Denn letztlich ist ihm daran gelegen, die Demut als grundlegende politische Tugend in einer Demokratie zu etablieren. Eine demokratische Tugend, die nicht zuletzt auch unser Verhältnis zur natürlichen Umwelt prägen sollte, wie er in einem spannenden Kapitel unter dem Titel „The Greening of Democracy“ (249ff.) ausführt. Diese politische Tugend der Demut umschreibt Keane folgendermaßen:
„But, all things considered, the cardinal democratic virtue is humility. Humility is a friend of democracy because it refuses to put itself and other virtues on a pedestal: to be proud of certain virtues, including one’s own or others‘ humility, is to suffer from its lack. (…) Humility is in fact the antithesis of arrogant pride; it is the quality of being aware of one’s own and other’s limits, and the responsibility of ensuring these limits are alway and everywhere observed.“ (463)
Ist hier auch etwas herauszuschlagen für eine politische Theologie der Demokratie, wie ich sie an anderer Stelle skizziert habe? Ich glaube kaum, dass John Keane überschwänglich auf diesen Gedanken reagieren würde. Letztendlich steht ja auch jede politische Theologie dem Gedanken einer ideologischen Demut skeptisch gegenüber. Man gibt ja vor, es stets besser, da theologisch zu wissen. Keane möchte die Demokratie also nicht durch eine Metaphysik der Demokratie retten, sondern durch ein Nachdenken über die praktizierte Demut von Personen und Institutionen weiter entwickeln. So sein ganz demütiger Vorschlag.
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