Auch wenn ich finde, dass Frauen Priesterinnen in der katholischen Kirche werden sollten und wir uns mit einer möglichst radikalen Wende unseres Lebensstils gegen den Klimawandel stemmen sollten; auch wenn mein Drang zur Freiheit fast noch größer ist als mein Wunsch nach Sicherheit; auch wenn mein Kleidungstil sich mittlerweile informalisiert hat und ich kein CDU-Mitglied bin: Ich halte mich für einen konservativen Menschen. Besser noch: Ich halte mich für einen konservativen Denker.
Was ist das aber: konservatives Denken?
Konservatives Denken geht aus von einer formalen Ordungsvorstellung. Damit meine ich: Die konservative Ordnungsvorstellung des Denkens ist nicht bestimmt im konkreten Sinne: also keine Ständeordnung, keine Geschlechterordnung, keine hierarchische Ordnung macht das konservativen Denken zwingend aus. Vielmehr geht es dem konservativen Denken um Ordnung im Sinne eines normativen Haltepunktes. Konservatives Denken hält sich an dieser oder jener Ordnungsvorstellung fest. Von Denkerin zu Denker kann die konkrete Gestalt dieser Ordnungsvorstellung variieren. Allein aber, dass Ordnung gesucht wird, markiert dieses Denken als konservativ. Daher spreche ich von der Ordnung als Formalprinzip des konservativen Denkens. Wer also konservativ in einem Bereich ist, muss in anderen Bereichen nicht konservativ sein. Konservatives Denken ist daher in gewissem Sinne kontingent.
Konservatives Denken neigt auch zu einer Disposition des mangelndenen Enthusiasmus dem Brandneuen gegenüber. Hinter dieser Disposition steht die Überzeugung, dass die neuen Dinge sich erst einmal bewähren müssen vor dem Tribunal des Zweifels. Man kann und muss Neues ausprobieren. Man muss experimentieren. Ja, aber das Experiment kann auch zu dem Ergebnis führen, dass das Neue als unbrauchbar verworfen wird. Das Neue ist nicht per se das Bessere. Konservatives Denken hat also einen skeptischen Zug. Diesem skeptischen Zug liegt die Motivation zugrunde, vor fortdauernden Enttäuschungen bewahrt zu bleiben.
Konservatives Denken neigt zum Weltschmerz. Warum? Weil das konservative Denken die Vergänglichkeit alles Erschaffenen vor Augen hat. Das Verschwinden des Alten, das ständige Emporkommen von Neuem erweckt im konservativen Denken eine Sehnsucht nach dem Bleibenden, nach dem, was in all dem Flüchtigen hält und trägt. Die Erfahrung des konservativen Denkens ist es aber, dass diese Sehnsucht beständig enttäuscht wird. Von daher erklärt sich auch, weshalb das konservative Denken gerade in einer zeitbeschleunigten Moderne aufkam. Mit jeder Geschwindigkeitserhöhung der Verkehrs- und Kommunikationsmittel griff das konservative Denken weiter um sich. Konservatives Denken ist also durch und durch modern. Sein Weltbezug schlägt aber resignative Töne an.
Für die Kenner_innen des konservativen Denkens ist all dies nicht neu. Daher zitiere ich zum Abschluss auch noch Jens Hacke, der die Essenz des konservativen Denkens vor Kurzem schön auf den Punkt brachte:
„Insofern bleibt es das konservative Dilemma, dass eine Bastion nach der anderen im Prozess der Modernisierung und Pluralisierung geräumt werden muss. Anders als die Konkurrenzideologien kann der Konservatismus nicht auf einen normativen Grundbegriff wie den der Freiheit im Liberalismus oder den der Gleichheit im Sozialismus zurückgreifen. Deshalb bleibt der Konservatismus im Kern reaktiv und bezeichnet entweder im Sinne 〈Edmund〉 Burkes einen bestimmten Modus des abwägenden politischen Denkens und Handelns oder bezieht sich relational auf Bewahrenswertes.“ (Jens Hacke, in: Besprechung zu Biebricher, Thomas: Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus, Neue Politische Literatur 2020)
Nachtrag: Lesenswert zum Thema ist auch der Beitrag von Petra Bahr, der sich unter folgendem Link findet: https://tinyurl.com/ybhltsz4