Es folgt ein Text aus meinem persönlichen Archiv. Es besteht kein Anspruch auf letzte Aktualität.
Max Webers Arbeiten zur Entwicklung des modernen Kapitalismus lassen sich in zwei hauptsächlichen Kategorien einteilen: Zum einen die Arbeiten zur geistlichen Grundlegung des Kapitalismus, der sog. protestantische Ethik, und zum anderen die Arbeiten zu der realtypischen Ausformung des modernen Kapitalismus. Beide Seiten der Untersuchung müssen aber als Teil der Weberschen Lebensarbeit gesehen werden, in welcher er sich mit der Ausbreitung der okzidentalen Rationalität auseinandersetzt. Wo Weber sich mit dem Kapitalismus beschäftigt, da tut er es in der Art eines Unterkapitels zu seiner übergreifenden Arbeit bezüglich der Rationalisierung der Lebenswelt, wie es Jürgen Habermas vielleicht ausdrücken würde.
In einem ersten Teil sollen der Geist und die Form (Wolfgang Schluchter) des Kapitalismus, wie in Weber sieht, betrachtet werden. Es geht hierbei um eine Rekonstruktion vor allem der Protestantismusthese. Daraufhin sollen kritische Stimme zu Wort kommen, die aber, so soll geendet werden, die These Webers nicht zu entkräftigen wissen, da sie meist auf einem Unverständnis ihrer beruhen.
I.
Max Weber geht in seinem Aufsatz zur „protestantischen Ethik und der Geist des Kapitalismus von der empirischen Lage aus, daß der Kapitalbesitz und das Unternehmertum zu seiner Zeit einen (nach Weber) eindeutigen protestantischen Charakter haben. Er geht also von der Wirklichkeit aus, konstruiert von ihr aus einen idealtypischen historischen Prozeß, den er mit zusätzlichem empirischen Material stützen möchte.
Wichtig ist dabei, und dies wurde oft übersehen, Webers grundsätzliche Unterscheidung des Kapitalismus in zwei Formen: in einen „traditionalen“ und in einen „modernen“ Kapitalismus. Der traditionale Kapitalismus zeichnet sich durch seinen „abenteuerlichen“ Charakterzug der Ausbeutung aus. Das Wirtschaftsleben der traditionalen Welt ist mitunter schon auf Gewinn ausgerichtet, dies jedoch unter drei Einschränkungen: Erstens handelt es sich oft um einen durch reine Ausbeutung erreichten, fast spontanen Gewinn, der sehr hoch ausfallen konnte, aber einem Raubzug gleich nie kontinuierlicher Natur war. Zweitens unterlag dieses Gewinnstreben einer starken moralischen Gewalt, die es untersagte, innerhalb der eigenen Gemeinschaft nach Profit zu trachten und dieses nur im wirtschaftlichen Verkehr mit der Außenwelt gestattete. Drittens, selbst wenn es sich um planvolle, gewinnorientierte Unternehmungen handelte, wie z. B. mittelalterliche Bankhäuser, so besaßen diese jedoch einen Ausnahmestatus, zählten sozusagen zu den „Wirtschaftsvirtuosen“, von denen es nur wenige gab.
Der moderne Kapitalismus unterscheidet sich lt. Weber von seinem traditionalen Pendant fundamental. Zum einen ist er ein rationales, d.h. planmäßiges Unterfangen. Der Gewinn wird geplant und angestrebt, die Kalkulation verläuft mit Hilfe der Buchführung stets kontrolliert und alles wirtschaftliche Handeln verläuft nach formalen Gesetzen, die keine Unterscheidung mehr in Binnen- und Außenmoral zulassen. Der Markt besteht nicht nur an der Grenze von Gemeinschaften, sondern auch in ihrem Innern. Wo er vorher ein Feilschmarkt war, der letztlich keine Regeln kannte als den eigenen Vorteil, wird der moderne Markt von einer Ethik reguliert, die, in Gesetze gegossen, für eine Kontinuität des Marktlebens sorgen sollen. Zuletzt: Moderner Kapitalismus ist total: Alle Menschen sind in ihm eingeschlossen, handeln demnach kapitalistisch, und sie tun dies zudem auch in fast allen Kontexten ihres Lebens, der Markt ist das dominierende Vergesellschaftungsprinzip der okzidentalen Moderne. Wie kam es aber zu diesem Umschlag von traditionalem zu modernem Kapitalismus?
Max Weber greift weit in die Religionsgeschichte zurück, um diesen Umschlag zu erklären. Das Mittelalter zeichnet sich, so Weber, durch eine rigide Aufteilung in zwei Sphären auf, eine Virtuosen- und eine Normalsphäre. Diese Aufteilung gab es im Wirtschaftsleben wie auch, und hier noch viel ausgeprägter und institutionalisierter, im religiösen Leben. Die einen strebten (hoffentlich) nach religiöser Reinheit, unterwarfen sich den concilia evangelica und zogen sich in Klöster und Konvente zurück. Die Mehrheit aber lebte in der Welt, war oft auch von der Welt, konnte sich aber aufgrund der Sakramente ihres Heils gewiß sein. Die weltliche Lebensführung der Mehrheit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie sich nicht außerhalb der religösen Welt plazierten, sondern mittels der heilbringenden Akte stets innerhalb dieser Welt zu finden waren. Die Reformation schaffte diese Zweiteilunng ab. Religiöse und weltliche Identität wurden immer mehr zu einer Einheit, das religiöse Denke penetrierte das säkulare Handeln. Besonders ausgeprägt fand diese Verschmelzung in den calvinistischen und täuferischen (Mennoniten, Quäkern usw.) Ausprägungen der Reformation statt. Der Mensch konnte sich sein Heil nicht mehr mit Werken und Sakramenten verdingen, sondern war, sola gratia, allein auf die Gnade Gottes angewiesen. Dieser schied die Menschen von Anfang an in die beiden Gruppen der Geretteten und der Verdammten (doppelte Prädestination), dem Menschen blieb nichts anderes übrig als dieser Vorbestimmung zu folgen. Sicher konnte er sich seinem Heil nie werden, da der Ratschluß Gottes unergründlich war (und ist). Was er letztlich tun konnte war, seinen Gnadenstand durch einen geordneten, gottgefälligen Lebenswandel zu bestätigen, um so die certitudo salutis zu erlangen und sich in der Gemeinschaft der Gläubigen behaupten zu können.
Nach Weber kam es auf diese Weise zu einer religiösen Individualisierung und Vereinsamung des Menschen in der Volksfrömmigkeit, da der Mensch von niemand Hilfe auf seinem Weg zu Gott erwarten konnte. Darüber hinaus stellt Weber fest, daß der Wegfall der Heilsnotwendigkeit der Sakramente zur „Entzauberung der Welt“ beitrug, wie auch die grundsätzliche Entwertung alles Kreatürlichen in der puritanischen Ausformung der reformatorischen Kirche. Das Heil bestätigt sich allein im Lebenswandel, der das klösterliche ora et labora in der Welt zu verwirklichten dachte. Dies führte zu einer systematischen Selbstkontrolle und einer methodischen Lebensführung, wie sie zuvor nur in der Klausur zu finden war. Der Webersche Kernbegriff ist dabei die „innerweltliche Askese“. Der Mensch hatte sich gegen Affekte und Emotionen zu wehren und eine von konstanten Motivlagen dominierte Lebensführung anzustreben. Das Leben wird jeder Ästhetik beraubt und besteht nur noch aus metaphysisch abgeleiteter Ethik und methodischer Planung.
Die innerweltliche Askese ist grundlegend für die Entwicklung des kapitalistischen Geistes. Das Wirtschaftsleben wird nämlich im folgenden geprägt von einem dezidierten Erfolgsprinzip, das im dauerhaften Prosperieren eines Unternehmens die segnende Hand Gottes sieht. Die gleichzeitige Ablehnung weltlicher Genußsucht führt zu einer Anhäufung von Kapital und einer Ausweitung der Unternehmung, da das Kapital nicht in den privaten Konsum des Unternehmers abfließt. Die Arbeit gewinnt auf diese Weise einen Selbstzweck, der ihr vorher nicht eigen war. Der „Beruf“ gilt als göttliche „Berufung“ und erhält den heute zentralen Charakter für jedes Individuum in der Moderne. Der Geist des Kapitalismus liegt in dieser religiösen Wertung der rastlosen, stetigen, systematischen, weltlichen Berufsarbeit als asketischem Ideal und zur Bewährung der Wiedergeburt. Weber schließt seine Betrachtung damit, daß er feststellt, daß der moderne Kapitalismus sich durch den Verlust seiner religiösen Wurzeln auszeichnet und einer reinen „utilaristischen Diesseitigkeit“ verfallen ist. Die Totalität des modernen Kapitalismus konnte aber nur von der und durch die Religion hergestellt werden, da nur sie in der Vergangenheit die Macht hatte, das Leben der Menschen effektiv zu reglementieren. Deshalb konnte es stets kapitalistische Formen des Handelns geben. Erst nachdem diese aber, sehr indirekt, religiös imprägniert wurden konnten sie auf die gesamte Gesellschaft übergreifen.
Der Geist des Kapitalismus generiert die kapitalistische Form. Die planvolle, d.h. rationale Organisation der Lebensführung zur Erlangung des Heiles wandelt sich zur planvollen, d.h. rationalen Organisation der Unternehmungsführung zur Erlangung des steten Profits. Die Form der Organisation ist die moderne Buchführung zur Feststellung der Rentabilität. Weber nennt weitere Formen des modernen kapitalistischen Wirtschaft: Rationale, d.h. mechanisierte Technik, die die Unzuverlässigkeit des Menschen ersetzt und die Produktion von den organischen Schranken der Arbeit loslöst; rationales, d.h. berechenbares Recht, das die notwendige Sicherheit für das stetige Wirtschaften schafft; Nötigung der Arbeitskräfte zum „freien“ Verkauf ihrer selbst; Kommerzialisierung der Wirtschaft im Wertpapiergeschäft; insgesamt eben eine rationale Arbeitsorganisation, die in keiner Weise mehr abhängt von traditionellen Normen und einem metaphysischen Apriori.
Zwischen den kapitalistischen Formen und dem Geist des Kapitalismus besteht eher eine Wahlverwandschaft denn eine eindeutige kausale Verbindung. Das Vorhandensein einer „innerweltlichen Askese“ bedeutet noch lange nicht, daß die Entwicklung der kapitalistischen Formen zwingend ist. Doch, nach Weber, wurde die Auflösung der mittelalterliche Bindung des Erwerbstriebes an die kirchliche Moral bei gleichzeitig nun positiver Bewertung des Handels, erst nach der „reformierten“ Reformation möglich (so auch Edgar Salin). Planvoll wurde das Heil angestrebt mittels planvoller Unternehmung. Die Säkularisierung ließ schließlich nur die Unternehmung übrig, in welcher der Kapitalist sein Heil, nun vollkommen innerweltlich verstanden, sucht. Nun sitzt der Kapitalismus fest im Sattel und bedarf keiner außerweltlichen Verankerung mehr. Das kommerzielle Sektenwesen ist vielmehr ein Anzeichen dafür, daß die kapitalistische Marktvergesellschaftung nun auch die Sphäre der symbolischen Reproduktion (Norbert Elias) erreicht hat.
II.
Kritik traf Max Weber von vielen Seiten. Schon zu seinen Lebzeiten entstand eine lebhafte Debatte um seine These. Moderate Kritiker konnten Webers Argument grundsätzlich etwas abgewinnen, sahen jedoch in seiner historischen und theologischen Argumentation Schwächen. Einige meinten, daß die religiöse Literatur, welche Weber zur Stütze seiner These heranziehe, viel weniger konfessionell aufgefächert gewesen sei, wie man dies gemeinhin so annehme. Andere meinten, daß sich die Askese weniger aus der Prädestinationstheologie der Calvinisten als vielmehr aus dem eschatologischen Zeitgeist des 16. und 17. Jahrhunderts ableiten lasse. Die Debatte war oft aber auch von einem schärferen Ton dominiert. So verwarf Werner Sombart die Weberschen Argument und verwies darauf, daß schon das Mittelalter den Kapitalismus kenne. Es sei das Papsttum und dessen Finanzpolitik gewesen, das eine kapitalistische Klasse geschaffen habe. Auch hätten Scholastiker wie Thomas v. Aquin und Antonius v. Florenz durchaus eine ähnliche Rationalisierung der Lebensführung gepredigt und seien dem ethisch vertretbaren Wirtschaften positiv gegenübergestanden. Die Reformation habe, so Sombart, dem Geist des Kapitalismus eher einen Dämpfer gegeben, in dem sie das Leben unter die strenge Prärogative des Glaubens stellten. Die strengen Reformatoren hätten sich von der Welt abgewandt und sich nur noch der religiösen Erneuerung gewidmet. Später sollte Sombart argumentieren, daß die Wurzeln des Kapitalismus im mittelalterlichen Judentum zu suchen sind, welches von Anfang nicht an die wirtschaftsethischen Verlautbarungen der Kirche gebunden gewesen seien. Andere Kritiker sahen in dem Kapitalisten ein per Definition religiös apathischen Menschen, eine religiöse Begründung des Kapitalismus sei von daher absurd. Nicht nur habe es schon im Mittelalter Kapitalisten gegeben, vielmehr gab es mit dem Tertiärorden der Franziskaner und den Jesuiten schon eine innerweltliche Askese, wie sie Weber erst für die nachreformatorische Zeit zuließe. Der Geist des Kapitalismus sei von daher nicht protestantischer, sondern rein säkular-individualistischer Natur (H. M. Robertson) und letztlich ein Produkt der Aufklärung (Kurt Samuelson).
Es ist erstaunlich, wie kurz, die (von mir gesichtete) Kritik greift. Wo sie Weber nicht aufgrund von historischen Ungereimtheiten oder theologischen Zweifeln mäßig kritisieren, sondern das Argument Webers in Bausch und Bogen verwerfen, da benötigt es nur wenig Anstrengung, um die Kritik durch eine „Antikritik“ zu entwerten. Weber selbst gibt unumwunden zu, daß es schon im katholischen Mittelalter kapitalistischen Formen des Wirtschaftens gegeben habe: Gewinnstreben, Berechnung bzw. Gewährung des Zins, asketische Lebensführung mit Anhäufung von Kapital. Doch wo das erste vor allem einem Abenteurerkapitalismus entsprungen sei, der zweite einem Pariahkapitalismus der Juden und die dritte einem institutionellen Klösterkapitalismus bei individueller Armut, da beruht der moderne Kapitalismus auf der Totalität seiner Wirkmacht. Er beschränkt sich nicht auf wenige Individuen, eine Volksgruppe oder einer religiösen Elitegruppe, sondern beruht auf der Gleichförmigkeit der asketischen Lebensführung in der ganzen Gesellschaft.
Schwer wiegt aber das Unverständnis hinsichtlich Webers Argumentationsgang. Wenn kritisch angemerkt wird, daß das religiös verregelte Leben der Puritaner ja überhaupt keinen Kapitalismus zulasse, dann verwechselt man Geist und Form bzw. stellt eine direkte kausale Verbindung zwischen Dingen her, welche Weber nur durch eine Wahlverwandschaft verbunden wissen wollte. Webers Gedankengang beginnt bei der protestantisch-calvinistischen Doktrin der Prädestination und Gnadenlehre; nicht wie sie von Calvin, sondern wie sie von seinen Epigonen formuliert wurde. Die psychischen Folgen dieser Doktrin seien gewesen, so Weber, das Bedürfnis sich der Gnade zu versichern und die Ablehnung aller sakramentaler (lt. Weber: „magischer“) Mittel auf diesem Wege. Die innerweltliche Askese und geschäftige Betriebsamkeit zur Ehre Gottes folgten als lebensweltliche Ausformung ebenso wie die rationale Lebensführung: der Geist des Kapitalismus. Es bedarf noch viel um diesen Geist in tatsächliche kapitalistische Formen umzuwandeln, Weber spricht z.B. von klimatischen, politischen u.a. Bedingungen. So besteht keine Möglichkeit des deduktiven Schlusses vom Geist zur Form, was viele seiner Kritiker übersehen. Weber zeichnet eine idealtypische, d.h. historisch reine Figuration, um die Wahlverwandschaft zwischen der symbolischen Orientierung der Menschen und ihrem wirtschaftlichen Handeln offenzulegen. Keiner seiner Kritiker hat auch nur annähernd eine ähnlich zwingende Argumentation vorgelegt.
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