Søren Kierkegaard and Political Theology: Indirect Communication and the Strength of Weak Authority: a Reflection on Parliamentary Democracy

The following excerpt is the beginning of my contribution to the edited volume of R. Sirvent & S. Morgan: Kierkegaard and Political Theology, Pickwick Publications, 2018.

„In the course of this essay I aim to answer the following set of questions: Is it possible to describe parliamentary democracy – somewhat idealtypically – as indirect communication? Is it possible to transfer this concept, which Søren Kierkegaard developed as part of his existential dialectics, to the level of collective decision-making? And is it possible to assign to parliamentary democracy similar Christian qualities which Kierkegaard assigns to the notion of indirect communication?

It may be rightfully assumed that Kierkegaard was sceptical about what Samuel Huntington called the “first wave of democratization” in the modernising 19th Century. I claim, however, that Kierkegaard’s democratic scepticism did not prevent him from developing concepts which – in a strange dialectic way – are valuable in a twenty-first century reflection on the idea of parliamentary democracy. In my view, the idea of indirect communication is such a concept.

In order to illustrate that the concept of indirect communication correlates with the idea of parliamentary democracy, I will proceed in two steps: First, I will explain some important features of Kierkegaard’s understanding of indirect communication. I am not going to deal comprehensively with either Kierkegaard’s own writings on the subject nor the extensive secondary literature on Kierkegaard’s ideas on communication. Rather, I will be selective, exemplifying only those points which seem valuable for my overall argument. Secondly, I will relate Kierkegaard’s concept of indirect communication to elements of parliamentary democracy as descripted by a group of 20th and 21st Century European writers as diverse as Carl Schmitt, Jürgen Habermas and Kari Palonen. My essay aims to move forward the presumptuous systematic claim that the concept of indirect communication describes one of the main features of parliamentary democracy, namely: that its strength lies in its weakness.“

(…)

Interested in reading more? Please read the full text in:

Robert Sirvent & Silas Morgan (eds.): Kierkegaard and Political Theology, Pickwick Publications 2018.

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Ein Lob auf die Politiker! Max Weber und die „Politik als Beruf“

Politiker (und selbstverständlich auch Politikerinnen) haben einen schlechten Ruf. Eine gewöhnliche Suche im Internet wird zahllose Artikel und Umfragen in respektablen Publikationen ergeben, die von diesem schlechten Ruf künden. Hier zitieren möchte ich einen kurzen Abschnitt aus dem Buch „Wahrheit und Demokratie“ von Marie Christine Kajewski:

Politiker „können sich klare Positionierungen anhand traditionaler Überzeugungen gar nicht leisten – zu sehr hat die ökonomische Rationalität im politischen Geschäft Einzug gehalten. Und so wird der Politiker (…) zum Verkäufer seiner eigenen Person und seiner Botschaft, die sich daran orientiert, was der Konsument, also der Bürger, vermeintlich wünscht. Dadurch gibt es keine wirklichen Staatsdiener mehr, jene Politiker von überzeitlichem Rang, die als Identifikationsfigur taugen und die Ansichten und Werte der Bevölkerung prägen können. Stattdessen sind die gegenwärtigen Politiker Getriebene der Marktlogik, beständig dabei, medientaugliche Werbeslogans zu wiederholen.“ (Wahrheit und Demokratie, Baden-Baden, 2014: 80).

Intellektuelle Stimmen und Stammtischparolen sind sich in ihrer Missbilligung des zeitgenössischen politischen Personals einig. Dabei bin ich der Meinung: Politiker mögen egoistisch, selbstherrlich, mediengeil, Verkäufer ihrer eigenen Sache sein. Sie sind es aber nicht mehr oder weniger wie andere Menschen unserer Gesellschaft.

Man könnte also auch anders über Politiker reden. Eine klassische und auch heute noch häufig gelesene Huldigung auf das politische Alltagshandeln ist Max Webers Kleinschrift „Politik als Beruf“ aus dem Jahr 1919. Diese erhielt durch Kari Palonen unter dem Titel „Eine Lobrede für Politiker“ 2002 ein kleines Denkmal gesetzt. Erweitert hat Palonen seine Interpretation von Lobreden auf Politiker im Jahr 2012 durch die Studie „Rhetorik des Unbeliebten“.

Bei Max Webers Original und bei Kari Palonens Interpretationen beeindruckt mich, wie das Alltagsgeschäft der Politiker im Gegensatz zu den anderslautenden Kassandrarufen eine enorme Aufwertung erhält. Gerade dort, wo Politiker sich durchwurschteln (auf Englisch nennt man dies „meddling through“), um in einem von vielen unterschiedlichen Interessen und widersprüchlichen Fakten durchzogenen Raum einen gangbaren Weg zu finden, nimmt der Politiker Verantwortung war: für sich selbst, für seine Wähler, aber auch für das Gemeinwohl.

Diese alltägliche politische Verantwortung ist eine zentrale Kategorie in der oft als realpolitisch verschrienen Schrift von Max Weber. Verantwortung trägt der Politiker nicht nur seinem Gewissen gegenüber, sondern vor allem auch der Sache, des Gegenstands wegen. Diese sachliche Verantwortung ist für Weber der „entscheidende Leitstern des Handelns“ (Politik als Beruf, Stuttgart 1992: 62). Sie kommt vor jeder Idee, jedem Ideal oder inneren Wert. Sie kommt aber auch vor jeder familiären, freundschaftlichen Verbundenheit oder monetären Verpflichtung.

Die sachliche Verantwortlichkeit bewahrt den Politiker davor, in einen kompromissunfähigen Gesinnungsapostel zu mutieren. Sie bewahrt ihn aber auch davor,  ein egomaner Machtpolitiker zu werden, der sich nicht mehr an der sachlichen Logik orientiert, sondern nur noch an der „Anbetung der Macht rein als solcher“ (64). Unsachlichkeit und Verantwortungslosigkeit werden damit für Max Weber zu den „Todsünden“ (63) einer jeden Politik.

Solches politisches Handeln gibt es – so Kari Palonen einmal im persönlichen Gespräch – nur in einer Demokratie. Damit gemeint ist ein politisches Handeln, das in einer kontingenten Situation Chancen und Möglichkeiten abwägt, das mit Andersdenkenden einsteigt in die schwierige Suche nach einem Kompromiss, das sich einlässt auf Diskussion und Streit, um letztlich der bestmöglichen Entscheidung zum Durchbruch zu verhelfen. Daraus folgt dann auch: In einer Diktatur oder in anderen nicht-demokratischen Regimen wird allerhand getrieben, nur keine Politik. Nur dort, wo sozialen Veränderungen gegenüber Offenheit besteht, kann politisch gehandelt werden.

Politiker zeichnen sich für Palonen durch ihre Fähigkeit aus „alternative Sichtweisen aufzutun, den Streit zwischen Sichtweisen zu akzeptieren, sich in diesem Streit zu bewegen und zu versuchen, die Gegenseite für die eigene Position zu gewinnen.“ (Rhetorik des Unbeliebten, Baden-Baden 2012: 52). Ich möchte noch ergänzen, dass Politiker auch stets versuchen sollten, der inhaltlichen Position der Gegenseite einen sachlichen Wert abzugewinnen und damit eine an der Sache orientierte Empathie für den Anderen zu pflegen.

Man mag diese strenge Sicht auf die Politik als demokratisches Handeln teilen oder nicht. Fest steht für mich: Das Lob der Politiker wird leider viel zu selten gesungen. Bei großen Jubelfeiern hört man gerne dem Bundespräsidenten beim Reden zu. Dem politischen Alltag traut man aber keine große Problemlösungskompetenz zu. Von der „Post-Demokratie“ wird an vielen Orten und zu vielen Zeiten in mahnenden Worten gesprochen, vom wirkmächtigen Fortbestehen demokratischer Grundregeln und -prozesse auch in unserem Land lässt man sich dabei kaum beeindrucken.

Dabei ist gerade diese Tatsache in der derzeitigen politischen Krisensituation, in der wir in Europa stecken, unverkennbar: Wir brauchen hart arbeitende, demokratisch legitimierte, an guten Lösungen orientierte sachlich engagierte Politiker. Diese Politiker (und eben solche Politikerinnen) müssen das Heft in der Hand haben, wenn wir nicht in einen gesinnungsethisch oder machtpolitisch zugespitzten Stillstand hineinsteuern wollen.

 

Die Schule von Jyväskylä: Eine Besprechung von „In Debate with Kari Palonen“

Der finnische Politikwissenschaftler Kari Palonen ist seit Anfang des Jahres im Ruhestand. Er hat seine langjährige Professur an der Universität von Jyväskylä niedergelegt. Das heißt aber ganz und gar nicht, dass Kari Palonen nun die aktive Wissenschaft zu den Akten legen wird. Wer ihn kennt und ihm öfters begegnet ist, der weiß, dass Kari Palonen sich von formal gesetzten Grenzen, wie dem Erreichen eines Pensionsalters, wenig beeindrucken lässt. Wir dürfen von ihm also noch diverse Beiträge erwarten.

Dennoch war die Pensionierung von Kari Palonen für Claudia Wiesner (Marburg/Jyväskylä), Evgeny Roshchin (Jyväskylä) und Marie-Christine Boilard (ebenfall Jyväskylä) Anlass genug, eine Art Festschrift zu veröffentlichen. Sie ist 2015 im Nomos-Verlag unter dem Titel „In Debate with Kari Palonen. Concepts, Politics, Histories“ erschienen.

Das Buch folgt nicht dem üblichen Muster von Festschriften. Die insgesamt 49 Beiträge sind meist nur wenige Seiten lang. Die wenigsten zeichnen sich durch eine eigene wissenschaftliche Fragestellung und deren Beantwortung aus. Vielmehr war es die Bedeutung von Kari Palonens Werk für die je eigene Forschung, die den Autorinnen und Autoren die Feder diktierte. Die Herausgeber formulieren es in ihrem Vorwort so: The „authors were given the opportunity to express what Kari Palonen and his work has meant for them (…)“ (11).

Diese Leitfrage führt bei den jeweiligen Texten zu einem sehr individuellen Zugriff. Manche Beiträge ähneln gar forschungsbiographischen Skizzen, so zum Beispiel, wenn die Nichte Palonens – Emilia Palonen (Helsinki) – ihre eigene akademische Laufbahn mit der Gedankenwelt ihres Onkels auf- und entschlüsselt (Between the I and the Us: My Uncle Kari). Überhaupt sind viele der Beiträge sehr persönlicher Natur. Nicht wenige beginnen mit Formulierungen wie „I first met Kari Palonen when I was …“. Das ist anrührend, auf die Dauer aber auch etwas ermüdend.

Es wundert nicht, dass bei einer Festschrift für einen finnischen Politikwissenschaftler viele finnische Stimmen zu Wort kommen. Diese eröffnen einem unkundigen Leser ein Panorama auf die Resonanz, die Palonens Werk in seinem Heimatland hatte und noch heute hat. Es wird des Öfteren betont, dass Kari Palonen am Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere in den 1970er Jahren eine frische Kraft war, und dass sich diese Kraft bis heute nicht verbraucht hat. Das liegt auch daran, dass Palonen sich nicht davor scheut, immer wieder neue Forschungsgebiete zu erarbeiten. So stellt Sia Spiliopoulou Åkermark (Uppsala) bei Kari Palonen eine „vast amount of curiosity“ (265) fest und Suvi Soininen (Jyväskylä) ergänzt, sie habe von Palonen gelernt, dass „in the long run a researcher is not only allowed, but perhaps also required, to change her/his ways of studying politics“ (195).

Neben den Texten finnischer Wissenschaftler finden sich aber auch Beiträge internationaler Forscher: Martin Burke (New York) blickt auf Palonens Skinner Lektüre; Frank Ankersmit (Groningen) untersucht den Aspekt von privater und öffentlicher Sphäre im Parlamentarismus; José María Rosales (Málaga) weist auf den 2012 verstorbenen Michael Th. Greven hin, der in der internationalen Forschungsbiographie Palonens eine wichtige Rolle gespielt habe. Und Quentin Skinner (London) schildert aus seiner Sicht den Einfluss von Kari Palonen auf sein späteres Werk.

Die Autorinnen und Autoren wählen aus dem Pool der wissenschaftlichen Interessen Palonens ein ganzes Bündel heraus: Palonens rhetorische Parlamentarismusforschung als sein jüngstes Projekt wird oft genannt; seine begriffsgeschichtlichen Arbeiten zum Politikbegriff werden erwähnt; seine frühen „anarchistischen“ Studien; sein Beitrag zu einem handlungstheoretischen Verständnis von Politik überhaupt. Wenn auch der Name von Max Weber oft fällt, werden die Bücher Palonens, die in engerem Sinne weberianisch sind, wenig zu Rate gezogen. Das gilt unter anderem für „Das Webersche Moment“ (1999), „Eine Lobrede für Politiker“ (2002) und für dessen späteres Sequel „Rhetorik des Unbeliebten“ (2012).

Auffallend ist, dass trotz des Titels des Buches „In Debate with Kari Palonen“ keine richtige Debatte mit Palonens Standpunkte aufkommen mag. Nun ist eine Festschrift nicht der richtige Ort, um die „Fetzen fliegen zu lassen“, doch muss Kari Palonen das Maß an hier präsentierter Zustimmung fast schon unangenehm sein. Dass Palonen in seinen Arbeiten für mehr Mut zum (politischen) Dissens plädiert, hebt unter anderem Tuija Parvikko (Jväskylä) hervor, wenn er betont, dass für Palonen „dissensus becomes the raison d’être, the conceptual condition for the intelligibility of parliamentary politics “ (149). Trotzdem erhält Palonen hier ein Buch zum Geschenk, dass – fast schon ironisch – überwiegend vom Konsens lebt.

Gerade weil das Buch dem Zuschnitt einer üblichen Festschrift nicht folgt, ist es trotz allem ein spannendes Dokument. Es schildert aus der Sicht vieler Akteure, wie die „Schule von Jyväskylä“ zustande kam und weiterhin am Wirken ist. Es ging und geht bei dieser „Schule“ nicht um einen gemeinsamen Standpunkt, der von Palonen vorgegeben und von seinen Schülerinnen und Schülern rezipiert wurde/wird. Vielmehr geht es um einen geteilten heuristischen bzw. hermeutischen Standpunkt, von dem aus ein großes Feld von Forschungsfragen in und jenseits der Politikwissenschaft bearbeitet werden. Dieser – in seinem Weltbild – anti-essentialistische und – in seiner Methode – begriffsgeschichtliche Standpunkt wird nicht von allen Autorinnen und Autoren in gleicher Konsequenz durchgehalten. Doch bei vielen sorgt/e dieser Standpunkt Palonens für wichtige Weichenstellungen im je eigenen Werk.

So ist die „Schule von Jyväskylä“ ein gutes Beispiel, wie wissenschaftliche Netzwerkbildung auch in der heutigen Wissenschaftswelt von einzelnen, charismatischen Netzwerkern abhängt. Letztlich sind es solche Einzelmenschen, die wiederum andere Einzelmenschen inspirieren und anregen. Und nur, wenn diesen vielen individuellen Geistern die Freiheit gelassen wird, ihren je eigenen Kurs einzuschlagen, bilden sich nachhaltig „Schulen“, die diesen Namen verdienen.

 

P.S.: Auch an meiner Doktorarbeit war Kari Palonen nicht ganz unbeteiligt. Sie erschien 2008 unter dem Titel „Der Augenblick der Entscheidung. Die Geschichte eines politischen Begriffs.“ und verdankt sich auch einem mehrwöchigen Aufenthalt in Jyväskylä.

 

 

 

Die Schule von Jyväskylä – ein finnisches Gebet

Derzeit lese ich die inoffizielle Festschrift für Kari Palonen „In Debate with Kari Palonen“ (hrsg. von Wiesner/Roshchin/Boilard, Baden-Baden: Nomos 2015). Das Buch enthält viele Passagen, die das akademische Ambiente rund um die finnische Stadt Jyväskylä preisen. An der Universität dieser Stadt lehrte Kari Palonen bis vor kurzem Politikwissenschaft. Eine Besprechung der Festschrift folgt hier in Bälde.

Jyväskylä steht aber nicht nur für eine bestimmte „Schule“ der historisch bzw. begriffsgeschichtlich interessierten Politikwissenschaft. Die Stadt und die sie umgebende Landschaft gibt es auch in der Wirklichkeit von Topografie und Geografie, von Flora und Fauna.

Das folgende Gedicht – verfasst nach einem Besuch in Jyväskylä 2006 und 2007 veröffentlicht in der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ – mag an diese Wirklichkeit erinnern; auf freilich recht österliche Weise.

Finnisches Gebet

Dereinst lag das Eis auf diesem Land

und schnitzte Welle um Welle

diese Hügel heraus

ließ zurück

ein grünes Meer

geschnitzt hat auch mich

Dein Wort

Span um Span fällt ab von mir

der Tod

 

© Burkhard Conrad

Politik als Sakrament der Welt

In der aktuellen Ausgabe der dominikanischen Zeitschrift „Wort und Antwort“(4/ 2013) findet sich ein Text von mir unter dem Titel: „Politik – das Sakrament der Welt im Zeitalter der Demokratie“. Anbei gebe ich einen kurzen Abschnitt aus diesem Text wieder, der die zentrale These des Textes enthält. Der gesamte Beitrag (ohne Fußnoten) findet sich hier, ebenso wie Hinweise zu den weiteren Texten des Heftes.

„Selbstmitteilung, Zeichen: Begrifflichkeiten wie diese sind verräterisch. Sie lassen nämlich erkennen, dass politisches Handeln aus der hier präsentierten theologischen Sicht nicht als ein beliebiger weltlicher Kommunikations- oder Aktionsbereich zu verstehen ist. Es steht vielmehr in einem besonderen Verhältnis zu unserem Wirklichkeits- und Wahrheitsverständnis. Es drückt nicht nur zeichenhaft aus, wie wir die Wirklichkeit unserer Welt sehen. In unserem politischen Handeln materialisiert sich das Sinn- und Wahrheitsverständnis, das unserem Tun und Denken vorangeht. Wir treiben Politik gemäß den Wirklichkeits- und Wahrheitsbildern, die wir mit uns tragen. Politik ist also „einer jener Bereiche des Lebens, in dem unsere Entscheidungen zeigen, wer wir sind”. (Rowan Williams) Politik teilt mit, offenbart, bezeichnet und kommt daher in Besitz einer sakramentalen Qualität. Politik ist eine Schöpfung besonderer Art: „Gott nutzt geschaffene Dinge, um etwas jenseits wörtlichen Bedeutung der Dinge kundzutun. Das sagt etwas über die Sakramentalität der erschaffenen Wirklichkeit als solcher aus.” (Charles Mathewes)

Politik als sakramentales Handeln zu bezeichnen ist gewagt. Denn dies würde ja heißen, dass politisches Handeln ein sichtbares und wirkmächtiges Zeichen einer unsichtbaren und noch ausstehenden Heilswirklichkeit ist; dass es den offenbarenden Charakter einer Theophanie, einer Gottesbegegnung besitzt; und dass es ein Vorgeschmack auf das „Gastmahl des ewigen Lebens“ ist. Dabei verbindet man Politik, wie eingangs vermerkt, mit ganz und gar nicht erbaulichen Machtspielen. Vielmehr noch: Politiker werden in Geschichte und Gegenwart für Tyrannei, Krieg und Verwüstung verantwortlich gemacht. Sie werden eher mit dem Schlechten im Menschen in Verbindung gebracht, als mit einem die Wahrheit und das Gute offenbarenden Wesen. Da klingt es vermessen, in Bezug auf Politik von einer Sakramentalität zu sprechen.

Von daher ist eine Einschränkung vorzunehmen. So wie Kari Palonen nur dort von Politik spricht, wo demokratische Verhältnisse herrschen, so kann auch nur dort von der Politik als dem Sakrament der Welt gesprochen werden, wo politisches Handeln nach demokratischen Spielregeln abläuft. Zwar sagt unser Handeln in der politischen Öffentlichkeit immer etwas darüber aus, wie wir uns und die Welt verstehen. Doch nur dort kann im christlichen Sinne von einer Sakramentalität und einem wirkmächtigen Heilszeichen gesprochen werden, wo dieses Handeln grundsätzlich nach der Verwirklichung von Gerechtigkeit und Frieden durch Mitbestimmung strebt. Damit ist auch ausgesagt, dass die Demokratie berechtigterweise die aus christlicher Sicht bevorzugte Verfasstheit des politischen Systems ist.“

Der Körper des Politikers – frei nach Kari Palonen

Kari Palonen hat einen Faible für Politiker. Dies machte der finnische Politikwissenschaftler mit seinem Kommentar zu Max Webers Schrift „Politik als Beruf“ deutlich, den er 2002 unter dem Titel „Eine Lobrede auf Politiker“ (Opladen) veröffentlichte. Im vergangenen Jahr legte er nun nach und publizierte den Band „Rhetorik des Unbeliebten“, dessen Untertitel ebenfalls vom Anliegen Palonens zeugt. Dieser heißt nämlich „Lobreden auf Politiker im Zeitalter der Demokratie“ (Baden-Baden 2012). In diesem Band zitiert Palonen rhetorische Einwürfe in französischer, englischer und deutscher Sprache aus den letzten 150 Jahren, die sich löblich über das politische Handwerk äußern. Gleichzeitig läßt er aber auch durchblicken, daß er selbst Loblieder auf Politiker zu singen bereit ist, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Stimmen im Land.

Politiker gibt es für Kari Palonen überhaupt nur dort, wo demokratische Zustände herrschen. Nämlich nur dort kann das einzelne Mitglied einer Volksvertretung Widerspruch einlegen. Nur dort kann es seine Meinung sagen, auch wenn es nicht zur Mehrheit gehört. Nur dort gibt es eine Pluralität und einen wechselseitigen Austausch und Disput der Ansichten. Nur dort muß das Mitglied mit der kontingenten Situation umgehen lernen, die jede Wahl neu mit sich bringt. In allen anderen politischen Systemen gibt es vielleicht die Ausübung von Macht, strenggenommen existieren dort aber keine Politiker. Palonen im Wortlaut: „In diesem Sinne gibt es etwa in kommunistischen Regimes – unabhängig davon, dass auch dort der Begriff des Politikers verwendet wird – keine Politiker“ (29).

Unter den Politikern in der Demokratie schätzt der finnische Politikwissenschaftler nicht nur jene, die anhand von hehren Idealen und persönlicher Integrität ihrem parlamentarischen Tun nachgehen. Diese sind ihm eher suspekt, da sie mit ihrem Hang zu absoluten Normvorstellungen die Politik zu entpolitisieren drohen. Palonens Faible für die Politiker erstreckt sich dagegen auf alle Formen des (gewaltlosen) Kampfs im politischen Alltag. Allein die Tatsache, daß es Frauen und Männer gibt, die sich dem oftmals langwierigen und aufreibenden parlamentarischen Ringen um politische Entscheidungen aussetzen, ist Palonen für seine Lobreden genug.

Von daher läßt ein Satz des jüngst erschienen Buches mit Bezug auf die relativ seltenen Parteiwechsel von Politikern besonders aufhorchen: „Parteiwechsel unter Politikern waren selten: …, verkörpern doch die Politker mit ihrer eigenen Person im Laufe der Zeit politisch unterschiedliche Entwürfe“ (42). Politiker als Verkörperung eines politischen Programms? Als physische Repräsentation eines Sets von politischen Vorstellungen, Ideen oder auch Idealen? Das klingt nicht nach reiner Pragmatik.

In die ähnliche Richtung weist ein weiterer Satz von Palonen, den er in Anlehnung an eine Quelle von Jean Paul Sartre formuliert. Palonen schreibt: „Für die Wähler geht es nicht nur um die Wahl zwischen Kandidaten, sondern auch um die Wahl der politischen Identität in einer bestimmten politischen Konstellation“ (92). Daraus folgt die Einsicht, daß es in der Politik um mehr geht als die Herbeiführung „kollektiv bindender Entscheidungen“ (N. Luhmann). Es geht auch nicht um die, wie es Palonen nennt, „mimetische Repräsentation“ von Wählerinteressen, wie es etwa imperative Mandate oder Ständevertretungen vorsehen. Die im Parlament versammelten Politiker verkörpern nicht eins zu eins die Interessen und Anliegen des sie wählenden Volkes oder einer bestimmten Gruppe. Palonen fordert von den Politikern vielmehr, sie mögen das Wagnis eingehen, „sich als Politiker nicht mit der Allgemeinheit zu identifizieren“ (95).

Das ist so zu verstehen, daß Politiker im Typus des Berufspolitikers sich selbst in die Waagschale werfen. Max Webers Plädoyer der „leidenschaftlichen Hingabe an eine Sache“ anführend (104), spricht Palonen in Hinsicht auf die politische Tätigkeit von „Selbstaufopferung“ (ebd.). Politker verzichten zugunsten ihrer Tätigkeit auf viele Annehmlichkeiten: zum Beispiel den Schutz der Privatsphäre oder eine selbstbestimmte Zeitplanung. Dies nehmen sie auf sich, um sich in oft kleinteiliger parlamentarischer Arbeit und beim Einsatz im Wahlkreis ihrer Sache zu widmen.

Dieses Engagement hat durchaus eine unmittelbar physische Dimension. Nicht nur, weil es oft mit der Schindung des eigenen Körpers einhergeht, wie es die Geschichten über Schlafentzug, die von der verstorbenen britischen Premierministerin Thatcher und der derzeitigen Bundeskanzlerin erzählt werden, deutlich machen. Letztlich ist auch jeder Wahlakt der Politik daran gebunden, daß Politiker und Politikerinnen (oder auch Wähler und Wählerinnen) physisch präsent sind. Sie können sich im Normalfall nur selbst repräsentieren und sich nicht einander vertreten. Nicht nur stehen sie also mit Herz und Seele – mit Leidenschaft – hinter einer Sache. Vielmehr stellen sie sich auch noch mit ihrem eigenen Körper ganz in den Dienst des Politiktreibens.

Vielleicht lohnt sich im Zugehen auf die kommende Bundestagswahl ein Blick auf die müden Augen und schlaffen Gesichtszüge der Tag und Nacht wahlkämpfenden Politiker, um zumindestens etwas Mitleid, wenn nicht sogar Hochachtung für sie und ihre Tätigkeit aufzubringen.

Die Situationsethik: von Josef Fuchs SJ bis Kari Palonen

Zwischen dem Buch des katholischen Moraltheologen Josef Fuchs „Situation und Entscheidung“ aus dem Jahr 1952 und dem Essay des finnischen Politikwissenschaftlers Kari Palonen „Politics as a Dramatic Action Situation“ aus dem Jahre 1983 liegen zwar numerisch nur dreißig Jahre. Die Aussagen der Texte liegen dennoch Welten auseinander. Noch weiter auseinander, wie die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen der beiden Herren ohnehin schon vermuten lassen.

Pater Josef Fuchs SJ lebte von 1912 bis 2005. Lange Jahre war er Professor für Moraltheologie an der römischen Universität Gregoriana der Jesuiten. Noch als Dozent an der theologischen Fakultät St. Georgen in Frankfurt veröffentlichte er 1952 das kleine Bändchen zum Situations- und Entscheidungsbegriff. Wer unter dem Titel „Situation und Entscheidung“ (Frankfurt/Main: Knecht, 1952) eine zeitdiagnostische Schrift zur Lage der deutschen Nation in den Jahren nach 1945 vermutet, liegt gänzlich verkehrt. Auch wenn die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg für einige Anlaß zu solch einer dezisionistischen Zeitdiagnostik waren, so präsentiert Fuchs seine Schrift doch mit einem anderen Ziel. Er nimmt die damals geführten moralphilosophischen bzw. moraltheologischen Debatten um das Thema der „Situationsethik“ auf und legt sie in eine ganz bestimmte Richtung aus.

Fuchs spricht sich in dem Werk nämlich eindeutig für den Vorrang des Naturrechts vor der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen aus. Zwar billigt Fuchs dem Menschen zu, dass dieser seine Entscheidungen stets in einer konkreten Situation zu treffen habe (13f.). Gleichzeitig ist für ihn selbstverständlich, „daß das Naturgesetz nie wegen der Besonderheit einer Einzelsituation seinen absoluten Forderungscharakter einbüßen kann“ (42). Es ist nicht die konkrete Entscheidungssituation mit ihren jeweiligen Kontextbestimmungen (sozusagen der Augenblick der Entscheidung), welcher die normative Legitimität einer Handlung bestimmt. Eine solche, später auch von Papst Pius XII. verurteilte, Art der Situationsethik lehnt Fuchs strikt ab. Das umgekehrte ist der Fall: die allgemeingültige Norm geht der Entscheidung voraus und wird in der betreffenden Situation faktisch nur noch angewandt.

Wenn das Naturrecht wirklich so „generisch und allgemein“ wäre, wie Fuchs dies in seiner Schrift behauptet (101), dann wäre sein Postulat relativ unproblematisch. Das Naturrecht wäre dann ein weit umspannender Horizont, der viel menschliche Freiheit in seiner Anwendung lassen würde. Je spezifischer und konkreter aber die gemutmaßte naturrechtliche Forderung an die jeweilige Entscheidung ist, desto mehr schrumpft die Freiheit des Menschen zu einer Fiktion. Fuchs formuliert es nicht so scharf. Doch wenn er von der Notwendigkeit einer „wirklichkeitsgetreuen Erfasssung der Situation“ (140) spricht und gleichzeitig Naturrecht und Wirklichkeit praktisch gleich setzt (vgl. 57), dann bleibt dem Menschen wenig mehr übrig, als die ihm vorauseilende naturrechtliche Wirklichkeit auch zu der Wirklichkeit seiner Entscheidungen werden zu lassen.

Der Begriff des Naturrecht begegnet einem bei Kari Palonen (*1947) nicht. Er liegt dem Denken des langjährigen Professors an der Universität Jyväskylä auch sehr fern. Palonen denkt nicht in Kategorien von Natur, sondern von Kontingenz und Chance. In Heideggerischem Duktus sagt Palonen in seinem 30 Jahre alten Essay über die Situation aus: „A situaton ‚is‘ not simply there, given for the agent, but the latter is always ‚in situation‘.“ (Politics as a Dramatic Action Situation, in: Kari Palonen: Re-Thinking Politics. Essays from a quarter-century, (ed. Kia Lindroos) Jyväskylä 2007, 17). Dieses „Je-schon-in-einer-Situation-sein“ entspricht aber nicht der Einbettung in eine vorgängige Ordnung. Es ist vielmehr das „Geworfensein“ in die Kontingenz des Augenblicks der Entscheidung und des Handelns. Diese Entscheidungssituation ist geprägt von radikaler Offenheit (18). Mit Sartre könnte man sagen, daß der Mensch zur Freiheit verdammt ist.

Palonen klassifiziert die politische Entscheidung als eine ganz besondere Handlungssituation. Der Politiker handelt, um Wandel hervorzubringen, nicht, um bestimmte Werte zu verwirklichen. Er verhält sich antagonistisch – also nicht im Einklang mit einem natürlichen Recht – und handelt dezidiert gegen etwas: eine Meinung, eine andere Partei, ein Gesetzesvorhaben. Daraus folgt für Palonen: „No politics without adversary and resistance“, wobei Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ nicht umsonst im Literaturverzeichnis des Essays vermerkt ist.

Politisches Handeln enthält für Palonen beides: eine Radikalisierung der Kontingenz und Offenheit und eine Radikalisierung des Neuigkeitswertes, der durch die Handlung hervorgebracht wird (vgl. 21). Der Politiker kann sein Handeln aus dieser Sicht gerade nicht auf einer von ihm unabhängigen Ordnung aufbauen. „There cannot exist in politics anything which could be experienced as valid on the basis of an universal intersubjectivity judgement, for basically anybody may question the validity of any policy“ (24). Eine „richtige“ Politik kann es von daher nicht geben (vgl. 26). Wer reine Politik treibt, tut dies ohne „a pre-written manuscript“ (33). Die Sicherheit, mit der Palonen von der Nicht-Existenz einer wie auch immer gearteten Grundierung unseres Zusammenlebens ausgeht – Ordnung wäre hier schon zuviel gesagt – ist überraschend.

Der Graben zwischen Fuchs‘ und Palonens Aussagen könnte kaum breiter und tiefer sein. Wobei beide ihre Meinung im Laufe der Jahre überarbeiteten und modifizierten. (Vgl. u.a. Josef Fuchs: Kirchlicher Gehorsam und personale Entscheidung, in: Stimmen der Zeit, Jg. 216 (1998), Nr. 9, 640-642 bzw. Kari Palonen: Das ‚Webersche Moment‘. Zur Kontingenz des Politischen, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1998, 209-216). Man könnte diese Modifikation einen Ausdruck von Altersmilde nennen, die auf beiden Seiten des Grabens zu bemerken ist. Vielleicht enthält diese auch eine tiefere Erkenntnis: daß Entscheidungen frei sind und gebunden; daß die Wirklichkeit Ordnung und Neuschöpfung enthält; daß von uns letztlich die Ordnung gesucht werden muß, die uns für verantwortliche persönliche und kollektive Entscheidungen möglichst viel Freiheit läßt.