In der Kirche soll es möglichst immer harmonisch zugehen. Alle Mitglieder sind Schwestern und Brüder. Diese Schwestern und Brüder versammeln sich alle im Namen des gleichen Gottes. Sie singen die gleichen Lieder, beten die gleichen Gebete, essen das gleiche Brot, trinken aus dem gleichen Kelch. Natürlich gibt man gerne zu, dass es auch einmal unterschiedliche Meinungen gibt; diese werden aber selten als solche debattiert und thematisiert und öffentlich gemacht. In diesem Sinne gleichen – Vorsicht: Polemik! – die kirchlichen Versammlungen in verblüffender Weise den Kongressen der Kommunistischen Partei in China.
In einem aktuellen Aufsatz (Synodality in Anglicanism, MdKI 2022; 73 (2) 83-89) kritisiert der anglikanische Theologe Mark Chapman diese Harmoniesucht, die sich auch in einer dazu passenden politischen Theologie ausdrückt. Das Streben nach größtmöglicher Harmonie und Einigkeit in den kirchlichen Versammlungen und Synoden wird, so Chapman, nämlich dadurch begründet, dass man sich die Trinität als Vorbild nimmt (vgl. ebd. 85). Dreieinigkeit Gottes, so diese Spielart der politischen Theologie, ist gleichzusetzen mit Harmonie und Einigkeit in Vielfalt. Daraus wird abgeleitet: So soll es in der Kirche auch zugehen. Wir sind alle vielfältig, aber wir sind uns auch alle einig. Als Folge dieser politischen Theologie wird dann scharfe Kritik beiseite gedrückt, werden kritische Debatten gescheut, wird offener Dissens geleugnet. Bis es nicht mehr geht, die Bombe hochgeht (vgl. Synodaler Weg) und das ganze Unterfangen kirchlicher Meinungsbildung und Entscheidungsfindung nur noch als Scheitern wahrgenommen werden kann.
Das heißt: Eine politische Theologie der Kirche als Ort der Harmonie führt zur Überforderung jeder Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. Und sie führt oft auch zu autoritären Lösungsstrategien, in denen Harmonie dekretiert, Einigkeit fingiert wird und folglich nur noch die Meinung der Mächtigen zählt. Das führt dann sogleich auch zu einem erheblichen Legitimationsproblem der Institution (87f.). Und für den deutschen Kontext gilt weiter: Wo keine Repräsentation meiner Stimme, meiner Meinung stattfindet, da trete ich dann einfach aus. Harmoniesucht führt zu autoritärem Verhalten und dieses zum Legitimationsverlust und dieses zum Exodus der Nicht-Repräsentierten.
Mark Chapman identifiziert dieses Problem und hat eine andere Idee zur kirchlichen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung:
A theological account of synodality, it seems to me, cannot begin with the ideal of a mutual relationship of divine love as somehow descriptive of human relationships inside or outside the church. The reason for that is quite simple: such language fails to describe the church as it really is, and is little more than wishful thinking. Instead it seems far better to start by addressing the Church as existing under the conditions of sin. (85)
Kirchliche Meinungsbildung und Entscheidungsfindung findet in menschlichen Insitutionen statt und als solche braucht es Instrumente, um konstruktiv und aktiv mit den menschlichen und institutionellen Konflikten und Spannungen fertig zu werden. Wir sind nicht perfekt – Mark Chapmann nutzt hier die Vokabel der ‚Sünde‘ – und unsere Institutionen sollten demzufolge so gebaut sein, dass sie unter nicht-idealen Zuständen funktionieren. Dazu Chapman:
Because it is a human institution the body of Christ needs government and constraints: it needs a political theology because it lives under the condition of human sinfulness. (86)
Das heißt jetzt nicht, dass in der Kirche von einem Freund-Feind-Schema alias Carl Schmitt auszugehen ist. Schmitts existentiell zugespitzte sog. politische Theologie taugt weder zur Beschreibung noch zur Deutung realer menschlicher Beziehungsgeflechte.
Es heißt aber, dass die Kirche und die Menschen in ihr bei all ihren Versammlungen und Synoden anzuerkennen haben, dass Konflikte und Meinungsverschiedenheiten der Normalfall ist und große Einigkeit ein unverhofftes Geschenk. Das heißt dann auch, dass immer mal wieder eine Seite verliert und die andere gewinnt (85). Und es heißt, dass wir kirchliche Institutionen benötigen, die vor diesen menschlichen Realitäten nicht in die Knie gehen, sondern diese Realitäten als Ausgangspunkt einer gesunden politisch-theologischen Reflexion machen.
Und ob in all dem dann der Heilige Geist wirkt, der bekanntlich weht, wo er will: Das steht dann auf dem Blatt eines ganz anderen Kapitels politischer Theologie.
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