Das Wesen der Dinge – ein Gedanke zur Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus

Papst Franziskus beschäftigt sich in seiner neuen „Umwelt“-Enzyklika „Laudato si“ („Gelobt seist du“) mit vielen Aspekten aus den Bereichen Umwelt und Mensch, Schöpfung und Kosmos. Theologisch motiviert, politisch kritisch und stets mit Verve eines politischen Theologen geht er ans Werk. Kommentare zur Enzyklika finden sich zur Zeit zuhauf.

Ein Punkt aus dem Text fällt mir besonders auf. In der Enzyklika wird immer wieder davon gesprochen, dass alle geschaffenen Dinge einen Wert an sich haben, ein Wesen. So sind wir als Menschen „aufgerufen zu erkennen, dass die anderen Lebewesen vor Gott einen Eigenwert besitzen“ (§ 69). Aus der Sicht des Papstes tun wir das aber nicht, sondern der Mensch neigt dazu, „die Wirklichkeit dessen, was er vor sich hat, zu ignorieren oder zu vergessen“ (§ 106).

Explizit wendet sich der Papst gegen eine funktionalistisch verengte Weltsicht, die im Anderen (des Menschen bzw. der Natur) stets nur eine Funktion mit Blick auf die eigenen Wünsche und Bedürfnisse sieht. Der Papst grenzt sich also dezidiert vom Utilitarismus ab. Mit Bezug auf die Biodiversität formuliert Franziskus die Kritik, dass es nicht genüge „an die verschiedenen Arten nur als eventuelle nutzbare ‚Ressourcen‘ zu denken und zu vergessen, dass sie einen Eigenwert besitzen“ (§33).

Das funktionalistische Denken wird in der Enzyklika auch als ein „technokratisches Paradigma“ bezeichnet (§ 106), das – so der Papst in seiner Systemkritik – die ganze Welt beherrsche. Man analysiere die Dinge, zerlege sich in seine Einzelteile, suche nach dem Nutzen für das Eigene und vergesse ganz, „das Ganze in den Blick zu nehmen“ (§ 110). Ebenso gehe das Wissen darum verloren, dass alle Dinge an sich einen Wert besäßen bzw. ein Wesen in sich trügen.

Wenn auch die Gefahr besteht, dass diese scharfe und – hier und da – auch wohlfeile Kulturkritik eben als eine solche behandelt werden wird – und damit in den Schubladen verschwindet – so möchte ich an dieser Stelle doch einhaken. So wie in der Arbeit mit (kognitiven) Begriffen und Ideen heutzutage davon ausgegangen wird, dass diese keinerlei Wesen an sich haben und gänzlich dem Deutungswillen der NutzerInnen unterworfen und damit kontingent sind, so geschieht dies – folgt man den Worten des Papstes – parallel auch in der Welt der (realen) Dinge. Es besteht also ein Parallelismus zwischen der Begriffs- und der Dingebene, dem Reich der Ideen und dem Reich der Realia. Beide werden tendenziell behandelt als Objekte ohne Wesen.

Ich habe das Gefühl, dass dieses Streben, den Begriffen und Dingen ein eigenes Wesen abzuschreiben, damit zusammenhängt, dass ein leerer Begriff und ein leeres Ding viel einfacher handzuhaben sind, als ein be-wester Begriff, ein be-westes Ding. Man möchte es gerne mit einem Forschungsgegenstand zu tun haben, dessen Bearbeitung keine moralischen oder ethischen Fragen aufwirft und der sich letztlich wie eine seelenlose Puppe arglos zur Seite legen lässt.

Das Wesen der Dinge – so könnte man mir entgegnen – kann kein Gegenstand der Wissenschaft und des Forschens sein, sondern höchstens des Glaubens. Denn das Wesen der Dinge – da stimme ich zu – ist in seinem Kern unerforschbar. Dieses Wesen wird uns bei der Analyse nie vollständig zugänglich sein. Dass die Dinge ein Wesen haben – so könnte man mir entgegnen – ist folglich ein Postulat, eine bloße Behauptung.

Das mag in der Tat so sein. Doch der Glaube an das Wesen von Dingen und Ideen es ist ein Postulat, dass aus einer realistischen Vorsicht, aus einer kognitiven goldenen Regel heraus geboren ist. Denn so wie ich gerne hätte, dass meine Ideen und Gedanken von Anderen behandelt werden, so möchte auch ich die Ideen und Gedanken anderer behandeln – nämlich als ein möglicher Ausdruck von Sinn und Wahrheit beim Anderen. Und so wie ich als Geschöpf ein Wesen in mir zu tragen wünsche, so muss ich auch den anderen geschaffenen Dingen in dieser Welt ein mögliches Wesen, einen möglichen Sinn zubilligen.

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2 Gedanken zu “Das Wesen der Dinge – ein Gedanke zur Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus

  1. Pingback: Die Kritik der Kritik – Was könnte man an “Laudato si” auszusetzen haben? | Rotsinn

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