Die kürzliche Unterhaus-Entscheidung in Großbritannien zum sog. „Drei-Eltern-Baby“ hat mich erneut auf eine englisch-sprachige Metapher gestoßen, die in bioethischen Debatten häufig anzutreffen sind: die Metapher vom „slippery slope“. Mit „slippery slope“ ist – abstrakt gesprochen – gemeint, dass die Verwirklichung eines Zustandes A zwangsläufig zur späteren Verwirklichung eines Zustandes B führen wird; wobei Zustand A aus Sicht des Betrachters vielleicht noch akzeptabel ist, Zustand B aber keineswegs.
In der aktuellen Ausgabe von The Tablet nimmt Jack Mahoney SJ zu dieser Metapher wie folgt Stellung:
„Like many medical advances, three-parent childbirth encounters the so-called ’slippery slope‘ objection, the question, ‚Where will it end?‘ implying the answer, ‚In inevitable disaster‘. What this objections does not appreciate is that we actually spend much of our lives on slippery slopes. (…) On slippery slopes, Dame Mary Warnock once observed, whether you can keep your footing or not depends on whether you are wearing skis or crampons.“ (The Tablet, 7. Februar 2015, 6).
Der Moraltheologe Mahoney dynamisiert in dieser kurzen Passage die ansonsten statisch verwendete Metapher des „slippery slope“. Es geht nicht darum, dass wir jetzt eine Entscheidung treffen, die später zur Katastrophe führen wird. Es geht darum, dass wir das grundsätzlich Abschüssige, die onthologische Hanglage unserer Existenz mit brauchbarem Schuhwerk durchqueren, jetzt und später. Das heißt, dass es in (ethischen) Debatten nicht den point of no return (ein weitere Metapher) gibt, sondern jeder Augenblick ein solcher Punkt sein kann bzw. solche Punkte durch weitere Entwicklungen unerwartet wiederkehren können. Für Weltuntergangsstimmung und festsitzenden Kulturpessimismus gibt es für Erste keinen Grund.
Der englische „slippery slope“ ist der deutsche „Dammbruch“. Die beiden Metaphern speisen sich aus unterschiedlichen Semantiken, meinen aber dasselbe. Der „Dammbruch“ spielt auf die unweigerliche Katastrophe an, welche auf die erstmalige und vielleicht auch einmalige Durchstoßung einer zuvor vorhandenen Grenze folgen wird. Auch der „Dammbruch“ spielt mit zeitlich getackteten Kausalitäten, die vom Betrachter unweigerlich erwartet werden: Wenn der Damm bricht, dann ist es auch bald für das Hinterland aus. Ein Gleichgewicht der Kräfte ist dann unweigerlich verloren.
Auch aus Sicht der Befürworter eines Status quo sollten diese beiden Metaphern eigentlich so wenig wie möglich genutzt werden. Wenn man auf dem abschüssigen Hang ins Rutschen gekommen ist oder der Damm gebrochen ist, dann ist – so will es die Logik der Metapher – eigentlich keine Rettung mehr möglich. Wenn also jemand in Bezug auf eine bestimmte Entscheidung oder Handlung davon spricht, dass diese einen Dammbruch darstellen, dann kann man anschließend eigentlich jede weitere Gegenwehr einstellen. Denn: Der Damm ist gebrochen; es gibt kein Halten mehr; rette sich, wer kann. Gleiches gilt für den „slippery slope“.
Bei meinem Einwand handelt es sich nicht um ein material-ethisches Argument. Der Sache nach mögen die eine oder die andere Entscheidung tatsächlich fragwürdig oder gar rundheraus falsch sein. Mir geht es hier um eine sprachliche Metapher, mit deren häufigem Gebrauch versucht wird, Debatten zu schließen und Argumente des Gegners tot zu schlagen. Vielleicht auch, weil einem die Fachkenntnis abgeht oder die eigenen Argumente fehlen. „Dammbruch“ und „Slippery slope“ sind Metaphern, die oft und gerne von Personen verwendet werden, die einen argumentativen Ort eingenommen haben, der einem statischen Nullpunkt gleicht. Eine Abweichung von diesem Nullpunkt kommt für sie nicht in Frage. Kompromisse sind nicht möglich. Denn: ein halber Dammbruch führt unweigerlich zum ganzen Dammbruch; wer auf dem Hang einmal ausgerutscht ist, kommt aus dem Rutschen nicht mehr heraus.
Für den, dem der „slippery slope“ bzw. der „Dammbruch“ zum onthologischen Grundgerüst des Alltags gehört, sind ethische Debatten keineswegs müßig. Doch sie verlieren in ihrer Singularität an Katastrophenpotential. Es geht nicht vorrangig darum, in dieser oder jener Diskussion den Dammbruch zu verhindern. Es geht darum, in den Stürmen des alltäglichen Handelns und Entscheidens zu bestehen und bei allen Kompromissen den Blick nicht abzuwenden von den eigenen Prinzipien, der Wahrheit.
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Die Rede vom Dammbruch höre ich eigentliche viel zu häufig.
z.B. hat es schon vor 40 Jahren künstliche Befruchtung gegeben, auch mit fremden Samenspendern (in Italien), und es hat nicht zu einem Dammbruch geführt. Empfängnisverhütung gab es in Europa in allen
früheren Jahrhunderten auf einfache Weise, und es hat nicht zu einem Dammbruch geführt. Im allgemeinen beinhalten viele Entscheidungen negative und positive Aspekte. Es liegt in der persönlichen
Verantwortung nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden.
Allerdings gibt es auch richtige „Dammbrüche“, z.B. wenn internationale Konflikte zu eskalieren drohen.
Angela Merkel und Francois Hollande waren noch nie so beliebt wie heute.
Ein Freund von mir hat im Stephansdom ein Kerzerl angezündet bevor die Konferenz in Minsk begann.
ein anderer schickte ein SMS, er hat im Strassburger Münster ein Kerzerl angezündet.
Elisabeth Vondrous
Vielen Dank für Ihren Kommentar!
Ich würde im zweiten Fall vielleicht eher von einem „Durchbruch“ sprechen; auch das ist streng genommen eine Metapher. Für einen Durchbruch der negativen Art müsste dann freilich noch ein entsprechendes Pendant gefunden werden.
MfG
B. Conrad